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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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nicht
gestillt. Er brachte mir das versprochene Geschenk nicht. Er wurde daran gehindert.
    Am nächsten Tag wurde er, närrisch
vergafft in die wiedergefundene, durch zwanzigjähriges Heimweh verschönte
Stadt, vom Serdar Avdaga wiedererkannt und beim Kadi angezeigt. Man brachte ihn
in die Festung und erwürgte ihn. Wegen einer Sache, die alle vergessen hatten.
    Da bemerkte ich zum erstenmal eine
seltsame Unruhe an Tijana. Sie schien verängstigt, schwieg lange, starrte abwesend
ins Leere.
    »Was soll aus uns werden, wenn wir
uns jedes Unglück so zu Herzen nehmen?« Ich versuchte, sie mit sanfter Berührung
und Worten zu beruhigen. »Wir haben ihn doch gar nicht gekannt. Wir haben nicht
mit ihm gerechnet, nicht mit ihm und mit keinem anderen.«
    Bald hatten wir den unvernünftigen
Ferhad vergessen, der seiner Sehnsucht nach der Vaterstadt zum Opfer gefallen
war. Hätte er sie nicht so geliebt, wäre er noch am Leben. Aber wer konnte das
wissen? Verrückt wie er war, hatte er es vielleicht vorgezogen, in seiner Stadt
zu sterben, statt in einer fremden zu leben.
    So verloren wir auch diesen einzigen
Verwandten. Er war aus dem Dunkel gekommen, bis dahin unbekannt, hatte nur
einen Augenblick gelebt, um die Stadt und uns zu sehen, und war wieder ins
Dunkel zurückgekehrt.
    Später fragten wir uns, ob es ihn
überhaupt gegeben oder ob wir ihn erfunden hatten, so sehr glich alles einem
bösen Traum.
    Ein paar Tage nach Ferhads
Hinrichtung sprach Šehaga Sočo von ihm. In Begleitung seines Gehilfen, des
kräftigen Osman Vuk, der seine Geschäfte führte, war er in unseren Laden
gekommen, um Schenkungen für Schulen und Bibliotheken beurkunden zu lassen. Er
wußte, daß Ferhad mein Verwandter war, und fragte mich nach ihm, aber ich
konnte ihm nur erzählen, was ich von Ferhad selbst gehört hatte. »Dieser Narr«,
murmelte Šehaga finster, »dieser Narr! Da hat er nun seine Vaterstadt, seine
Heimat! Den ganzen Tag hat er sich die Gassen angeschaut, sagst du? Schmutz hat
er gesehen, sein und unser Mißgeschick. Er ist hier geboren, na und? Das ist
ein Unglück, kein Vorteil. Ein Grund zum Weinen, nicht zur Rührung. Wonach hat
er zwanzig Jahre Heimweh gehabt, du lieber Gott! Nach diesem armen Land, nach
der Niedertracht in uns, die stärker und dauerhafter ist als Mutterliebe? Nach
dem unwiderstehlichen Drang, Böses zu tun, wann immer wir können? Nach unserer
wilden Schwermut?«
    »Ein Land wie das andere, ein Mensch
wie der andere, es ist überall dasselbe«, sagte Mula Ibrahim vorsichtig, mit
einem ängstlichen Blick auf den ernsten Šehaga und den lachenden Osman Vuk.
    »Unser Land ist nicht wie andere,
unsere Menschen sind nicht wie andere. Unser Land ist ein Jammertal. Ist euch
nie aufgefallen, wie unsere Dörfer heißen? Sag es ihnen, Osman!«
    »Schlimmdorf, Moorhof, Schwarzer
Strudel, Brandstätten, Dornheide, Hungerfelde, Wolfsheim, Wolfsdorf,
Wolfsnest, Dorndorf, Klagen, Stinkstein, Schlangenheim, Elend ...«
    »Da habt ihr's! Bitterkeit, Armut,
Hunger, Unglück. Und die Menschen? Es widert mich an, darüber zu reden. Und
warum ist es so? Ich weiß es nicht. Vielleicht weil wir von Natur aus böse, von
Gott gezeichnet sind. Oder weil uns das Pech ständig auf den Fersen ist, so daß
wir uns fürchten, laut zu lachen, um die bösen Geister nicht zu erzürnen, die
uns ständig umlauern. Ist es da ein Wunder, daß wir uns ducken, verstecken, daß
wir lügen, nur an heute und an uns selbst denken, daß wir unser Glück im
Unglück anderer erblicken? Wir haben keinen Stolz und keinen Mut. Man schlägt
uns, und wir sind noch dankbar dafür.«
    Mula Ibrahim war in Schweiß gebadet.
Er fürchtete sich vor dem mächtigen Šehaga und noch mehr vor jenen, denen seine
Worte nicht gefallen würden, deshalb wollte er sich wenigstens selbst dagegen
verwahren.
    »Man darf nicht nur schwarzsehen,
Šehaga.«
    »Das sage ich auch, Mula Ibrahim,
und damit belüge ich mich und andere. Aber bisweilen, nicht so oft, wenn mich
vor der Lüge ekelt, sage ich die Wahrheit. Es ist schwarz, Mula Ibrahim, wir
leben in einer schweren Zeit, und wir leben jämmerlich und schändlich. Wir
können uns nur damit trösten, daß die, die nach uns kommen, es noch schwerer
haben und unsere Tage als die gute alte Zeit preisen werden.«
    So verzweifelte Worte hatte ich noch
nie gehört, und sie legten sich schwer aufs Herz, wie Grabgesänge. Vielleicht
weil er ohne Heftigkeit sprach, ruhig und überzeugt, tapfer und dennoch
hilflos. Sicher war nicht alles

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