Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
schon auf die
Heimkehr.
    Vor der Werkstatt von Mahmut
Neretljak blieb ich stehen: In dem schmutzigen Fenster waren ein paar Anhänger
und anderer Kleinkram ausgestellt.
    Ich wußte nicht, daß er sein
Geschäft wiedereröffnet hatte. In meiner Schulzeit hatte er in dieser Werkstatt
falsche Kupfermünzen geprägt und als echte in Umlauf gebracht. Zur Strafe war
er ausgepeitscht und aus Sarajevo verwiesen worden. Zehn Jahre hatte er in der
Verbannung gelebt, irgendwo im Orient, und in diesem Frühjahr war er zurückgekehrt
und hatte sich, wie ich nun sah, im selben Laden niedergelassen.
    Durch die Scheibe konnte ich ihn
nicht sehen, aber aus dem Zimmer hinter der Werkstatt drangen Stimmen, eine
grobe, hüstelnde, die Mahmut gehörte, und feine Kinderstimmen. Er gab ihnen
Unterricht, aber worin? Die Laute kamen mir irgendwie bekannt vor. Lieber Gott,
das war Arabisch, entstellt, verstümmelt, aufgefüllt mit türkischen, persischen
und griechischen Wörtern, gewürzt mit saftigen Flüchen in unserer Sprache. Was
trieb er da? Ich hörte bestürzt dieses unglaubliche Kauderwelsch, diese
heimatlose Landstreichersprache, die zwar von den weiten Reisen dieses Ausgestoßenen
und den zahllosen von ihm ausgeübten Berufen zeugte, aber diesen Kindern nicht
viel nützen konnte. Sie würde in ihren kleinen unschuldigen Köpfen Verwirrung
stiften.
    Und während ich noch zögerte, ob ich
ihn rufen oder fortgehen sollte, erlöste er sich und mich und die Kinder von
der Qual, indem er sie aus dem Kerker seiner Unwissenheit und ihres Zweifels
befreite. Sie kamen betäubt heraus, taumelnd unter der Last des Unsinns, der
ihr Gehirn schüttelte.
    »Sie glauben sicher, daß sie dumm
sind oder daß die Wissenschaft zu hoch für sie ist«, sagte ich fröhlich,
während ich ihnen nachschaute.
    »Beides ist richtig«, antwortete
Mahmut mit gutem Grund.
    Ich lachte.
    »Ich habe deinem Unterricht
zugehört.«
    »Und was ist daran zum Lachen?«
    »Daß du nicht Arabisch kannst.«
    »Natürlich nicht. Woher auch?«
    »Warum machst du es dann?«
    Er streckte die Hände vor, seine
Finger zitterten.
    »Mein Handwerk kann ich nicht mehr
ausüben, etwas anderes habe ich nicht gelernt. Ich verhökere diesen Tand und
unterrichte die Kinder. Ich weiß wenig, sie zahlen wenig, also ist keiner dem
anderen etwas schuldig. Was verlieren sie dabei? Nichts. In der Medresse werden
sie mehr erfahren, wenn es nötig ist. Und ich lebe davon.«
    »Aber wenn man erfährt, daß du
nichts davon verstehst? Das läßt sich nicht lange verheimlichen.«
    Er hob die Schultern: Dann würde es
etwas anderes geben. Wie die falschen Kupfermünzen.
    Ich schaute in sein runzliges
Landstreichergesicht, in die listigen und doch unschuldigen Augen eines kleinen
Gauners mit Phantasie, und ich lächelte unwillkürlich. Als ich ein Kind war,
hatten uns seine falschen Kupfermünzen, die schwere Prügelstrafe und die
Verbannung in ferne, fremde Länder in Aufregung versetzt, und jetzt zitterten
vor mir seine Hände, die Silberdraht geschmiedet und Falschgeld geprägt hatten.
Das Leben hatte ihn gebrochen, die Krankheit ausgelaugt, aber er mußte leben.
    »Ich werde dir helfen«, sagte ich
ohne großes Nachdenken. »Ich kann ein bißchen Arabisch.«
    Mahmut
verzog das Gesicht.
    »Such dir andere Kinder. Warum
willst du mir meine wegnehmen?«
    »Ich helfe
dir umsonst.«
    Er staunte, wußte nicht, ob er noch
zweifeln oder mich bedauern sollte.
    »Hör zu, junger Mann, wenn du damit
keine schlechten Absichten verfolgst, bis du nicht sehr schlau.«
    »Gut, ich bin nicht schlau, aber ich
führe nichts im Schilde. Es ist zu meinem eigenen Vorteil, wenn ich meine
Kenntnisse auffrische.«
    »Und wenn
ich dich belogen habe, was meine Krankheit angeht, wenn ich mir nur Geld für
Schnaps verdiene?«
    »Das macht
nichts. Schaden kann es keinem.«
    Noch immer
wehrte er sich.
    »Warum hast
du gelauscht?«
    »Zufällig. Ich wollte eine
Kleinigkeit für meine Frau kaufen.«
    »Von diesem Tand? Siehst du, ich
habe nicht einmal gefragt, ich bin es nicht mehr gewohnt. Also, sieh dir etwas
an.«
    Mit zitternden Händen wühlte er in
dem billigen Schmuck und führte ihn mir vor.
    »Möchtest du das? ... Wenn du das
mit dem Unterricht ernst meinst, bezahle ich dich, damit es nicht umsonst ist.
Und sollten die Kinder wegbleiben, das kommt vor, werde ich andere finden,
jetzt wird es einfach sein, wir könnten auch richtige Schüler aus der Medresse
aufnehmen, nur, das Zimmer ist klein ... Nimm doch diese

Weitere Kostenlose Bücher