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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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los.
    »Gestattet Ihr, dass ich mit Euch gehe?« Der Werkmeister drehte sich um: Andrea fixierte ihn ungeduldig.
    »Natürlich«, sagte Rosso nur und wandte ihm den Rücken zu, um auf den Eingang der Krypta zuzugehen, wo die Nonne, auf jeder Stufe schwankend, schon hinabstieg. Andrea folgte ihm, nachdem er seinen Blick von der Novizin und dem armen Hund in ihrem Schoß gelöst hatte. Seine Zunge hing zwischen den Zähnen heraus, die Augen waren starr, während die junge Frau noch immer seine Schnauze streichelte.

12
    Die sechs Stufen aus weißem, istrischem Kalkstein fielen fast senkrecht ab und zwangen den Besucher, den Oberkörper zu drehen, jeden Schritt genau abzuwägen und sich an dem starken Hanfseil festzuhalten, das an drei in der Mauer steckenden Eisenringen befestigt war.
    Das Erste, was Andrea wahrnahm, war der Geruch von brennendem Wachs und ein Ansteigen der Temperatur, als käme man in einen Backofen. Er dachte an das Feuer ganz in der Nähe und wunderte sich, dass die Flammen unterirdische Wege gefunden haben mussten, um bis hierher zu gelangen. Als seine Füße den Boden der Krypta berührten, verstand er: In dem Raummit dem niedrigen, angedeuteten Tonnengewölbe aus Backsteinen brannten unzählige kleine Votivkerzen. Der größte Teil der Lichter war vor einem gläsernen Schrein aufgereiht, dessen metallener Rahmen das Glas auf jeder Seite in viele kleine Quadrate unterteilte und stützte. Im schwachen Kerzenlicht war hinter den Reflexen auf den Glasscheiben der Körper einer Nonne zu sehen. Andrea zuckte zusammen, denn der in einen weißen Schleier gehüllte Körper schien sich in dem flackernden Licht zu bewegen, und als er näher hinschaute, war ihm, als läge in diesem zarten, ebenmäßigen Gesicht wirklich noch ein Anflug von Leben. Er wandte den Blick ab und ließ ihn weiter durch die Krypta schweifen. An der gegenüberliegenden Wand bargen sechs Nischen aus Stein die Körper verstorbener Nonnen, in ihre von Feuchtigkeit, Schimmel und Parasiten zerfressenen Kutten gehüllt. Jede Nonne hatte den Gegenstand neben sich, den sie gemäß der Regel des heiligen Benedikt im Leben benutzt hatte: einen Korb, eine Sichel, eine Bütte, einen Spaten, Steine zum Kornmahlen und eine Sanduhr zur Einteilung des Tages.
    Andrea dachte daran, wie oft das Brot aus der Celestia bei ihnen zu Hause auf den Tisch gekommen war, und aus dem Klostergarten hatte man ihnen Artischocken, Äpfel und Kirschen geschickt. Freundlichkeiten, die sein Vater mit regelmäßigen Besuchen vergolten hatte, bei denen er die Nonnen großzügig beschenkte. Als Kind hatte Andrea den Vater oft begleitet. Er erinnerte sich an den Duft nach Gemüse im Refektorium, an die kühle Vorhalle mit der Statue der Madonna, das Lächeln der jungen Nonnen. Wie viele Jahre waren vergangen? Zwanzig? Er fühlte sich schuldig, weil es ihm seitdem kein einziges Mal eingefallen war, aus eigenem Antrieb dorthin zurückzukehren, um diesen frommen Frauen, die im Schweigen und in der Arbeit ihren Lebenssinn fanden, ein Geschenk zu machen. Und Venedig war nicht groß, er hätte keine Berge und Meere überwinden, sondern nur über ein paar Brücken gehen müssen. Taddea hatte oft von der Celestia gesprochen, denn in ihrer frühenJugend wäre sie auf väterlichen Druck fast in den Orden eingetreten. Nachdem sie Andrea begegnet war, hatte sie den Wunsch geäußert, in dieser Kirche zu heiraten. Er hatte sie nie nach dem Grund gefragt.
    Die Erinnerung an Taddea, die Frau, die er erst vor wenigen Stunden verlassen hatte, ließ Andrea erschauern und drängte ihn, sich zu bewegen. Er tat ein paar Schritte in die Mitte der Krypta, die auf zwei parallelen Säulenreihen aus griechischem Marmor mit würfelförmigen Kapitellen ruhte. Weiter hinten, dort wo die Säulenreihen perspektivisch zusammenliefen, befand sich ein schlichter kleiner Marmoraltar. Zu seinen Füßen standen, über eine Ordensschwester gebeugt, die mit dem Rücken an einem der Altarbögen lehnte, Bepo Rosso, die Nonne, die ihn begleitet hatte, und eine Novizin.
    Die sitzende Frau musste Lucia Vivarini sein, die Äbtissin, die ihm den Brief geschickt hatte. Andrea hatte erst einen Schritt getan, als das dunkle Dröhnen einer starken Explosion bis in die Krypta drang und sie erbeben ließ. Putzbrocken fielen von der Decke, und der Staub rieselte aus den Mauerritzen wie Sand in einer Sanduhr. Andrea legte die Arme über den Kopf, kauerte sich nieder und erwartete den Einsturz. Doch mehr geschah nicht. Als das

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