Die Feuer von Troia
Klytaimnestra, die sich wieder jung fühlte, nachdem sie Aegisthos zu sich genommen hatte, ihre Tochter Elektra praktisch enterbt hatte, indem sie sie mit einem niedrig geborenen Mann verheiratete. Er war der Schweinehirte im Palast gewesen oder etwas Ähnliches. Bei Völkern, über die eine Königin herrschte, war es allgemein Brauch, daß eine Königin, die keine Kinder mehr bekommen konnte, zugunsten ihrer Tochter abdankte - dementsprechend war das Volk von Mykenai der Ansicht, Klytaimnestra hätte Elektra mit Aegisthos verheiraten und Platz für Elektra auf dem Thron machen sollen. Einigkeit herrschte darüber, daß niemand Elektras Mann als König anerkennen konnte.
Agamemnon hörte die Geschichte schließlich - allerdings nicht die Geschichte von Klytaimnestras Liebhaber, alle achteten sorgsam darauf, daß ihm nichts zu Ohren kam -, sondern über Elektras Heirat. Er glühte vor Zorn.
»Klytaimnestra hatte nicht das Recht dazu! Das sieht so aus, als habe sie mit meinem Tod gerechnet. Es ist meine Aufgabe, Elektra zu verheiraten, und zwar zum Wohl des Landes, um mir einen Verbündeten zu gewinnen. Odysseus hat davon gesprochen, seinen Sohn Telemachos mit ihr zu verheiraten. Nachdem sein Schiff gekentert ist, braucht Telemachos starke Verbündete, wenn er Ithaka halten will, denn es gibt sicher andere, die es ihm streitig machen«, fluchte er, »ich hätte sie auch mit dem Sohn des Achilleus verheiraten können. Achilleus hat seine Base Deidameia nicht in aller Form geheiratet. Er hat sie verführt, und als er in Troia kämpfte, bekam sie einen Sohn von ihm. Nun ja, wenn ich wieder zu Hause bin, wird Klytaimnestra lernen, daß ich in meinem Haus Ordnung schaffen werde und ihre Herrschaft ein Ende hat! Als Witwe ist Elektra noch immer eine wertvolle Braut. Sie kann nicht älter als fünfzehn sein. Und, das sage ich dir, unser Sohn und nicht Orest wird nach meinem Tod auf dem Löwenthron sitzen!«
Kassandra fiel immer wieder auf, daß die Achaier ständig von ihren Söhnen sprachen, die nach ihnen kamen. Auf diese Weise schienen sie sich mit dem Gedanken an den Tod abzufinden. Offenbar hatten sie keine Vorstellung von einem Leben danach. Kein Wunder, daß sie so rohe Sitten hatten. Offenbar glaubten sie nicht, daß ihre Götter sie im nächsten Leben für all das zur Rechenschaft ziehen würden, was sie in diesem Leben taten.
Die Tage im ruhigen Ägypten glichen sich so sehr, daß Kassandra kaum wahrnahm, wie die Zeit verging. Nur das Wachsen des Kindes in ihrem Leib machte ihr bewußt, wie die Tage verflogen. Endlich war es soweit: Der Pharao erklärte, sie könnten unbesorgt in See stechen. Aber noch in derselben Nacht setzten bei Kassandra die Wehen ein, und bei Sonnenaufgang des nächsten Tages gebar sie einen Sohn.
»Mein Sohn«, sagte Agamemnon, nahm das Kind hoch und betrachtete es aufmerksam, »er ist sehr klein.«
»Aber er ist gesund und stark«, erklärte die Hebamme eifrig, »mein König, solche kleinen Kinder werden oft größer als Kinder, die bei Geburt sehr groß sind. Die Prinzessin ist schmal. Es wäre eine schwierige Geburt geworden, wenn der Kleine größer gewesen wäre.«
Agamemnon lächelte und küßte das Neugeborene. »Mein Sohn«, sagte er zu Kassandra, aber sie drehte den Kopf zur Seite und sagte: »Oder Ajax’ Sohn…«
Er sah sie finster an. Es gefiel ihm nicht, an diese Möglichkeit erinnert zu werden. Er sagte: »Nein, ich glaube, er sieht mir ähnlich.«
Nun ja, ich hoffe, dieser Gedanke macht dir Freude, dachte sie, das arme Kind wird davon nicht hübscher.
»Sollen wir ihn Priamos nennen wie deinen Vater? Ein Priamos auf dem Löwenthron?!«
»Das entscheidest du. «
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Agamemnon, »du bist eine Seherin. Vielleicht kannst du dir einen Namen ausdenken, der ihm eine gute Zukunft verheißt.« Er neigte sich über sie und legte das Neugeborene wieder Kassandra an die Brust.
Für einen Sohn des Agamemnon gibt es keine gute Zukunft , dachte sie und erinnerte sich daran, daß auf Agamemnon Klytaimnestra mit ihrem neuen König in Mykenai warteten. Dieser Sohn würde ebensowenig wie Orest auf dem Löwenthron sitzen…
Kassandra spürte plötzlich ein vertrautes Dröhnen im Kopf. Die Sonne blendete sie. Sie spürte das Kind kaum noch in den Armen - oder hatte sie es losgelassen? Kassandra hatte geglaubt, die Sehergabe habe sie verlassen. Es war ihr nicht gelungen, Troia zu retten oder alle, die sie liebte. Sie hatte gehofft, endlich
Weitere Kostenlose Bücher