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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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von dieser Last befreit zu sein.
    Sie sah die große Doppelaxt, mit der man den Stieren in Kreta den Kopf abgeschlagen hatte. Agamemnon taumelte blutüberströmt über Stufen.
    Sie bedeckte die Augen mit den Händen, um den Anblick zu vertreiben.
    »Blut«, flüsterte sie, »wie einer der kretischen Stiere. Geh nicht zum Opfer … «
    Er beugte sich über sie und strich ihr über die Haare.
    »Was hast du gesagt? Ein Stier? Nun ja, für dieses große Geschenk sollte ich Zeus, dem Donnerer, wahrhaftig einen Stier opfern. Aber nicht hier in Ägypten. Wir warten damit, bis wir mein Land erreichen. Ich besitze dort viele Stiere und muß nicht den unverschämten Preis in Gold bezahlen, den die Priester hier für Opfertiere fordern. Ich glaube, Zeus kann auf das angemessene Opfer so lange warten. Aber wenn du wieder bei Kräften bist, kannst du ihrer Erdmutter zum Dank für diesen prachtvollen Sohn ein paar Tauben opfern.«
    Vielleicht habe ich nur das gesehen , dachte sie,  ein Opfer, bei dem etwas mißlungen ist . Aber ihr Groll auf Agamemnon schwand augenblicklich. Sie hatte ihn gehaßt und verachtet. Aber jetzt sah sie ihn bei den Toten und fragte sich, ob er nach dem Tod all denen begegnen mußte, die er im Kampf getötet hatte. Hektor hatte gesagt, ihn habe Patroklos begrüßt, als er durch die Pforten des Todes getreten sei. Aber für Agamemnon würde es anders sein, so wie es für Achilleus irgendwie anders gewesen war, wie sie wußte.
    Kassandra blieb im Bett, denn sie zweifelte nicht daran, daß Agamemnon nach Mykenai aufbrechen würde, sobald sie wieder aufstehen konnte. Und auf der Herreise hatte sie sich Tag für Tag so krank gefühlt, daß ihr der Gedanke an das Meer inzwischen Angst und Schrecken einjagte.
    Kassandra beschloß, ihren Sohn Agathon zu nennen. Vor seiner Geburt hätte sie sich nicht vorstellen können, ein Kind zu lieben, das auf diese Weise empfangen worden war; sie vermutete inzwischen, ein Großteil ihrer Krankheit während der Schwangerschaft war nichts als Auflehnung gegen den Gedanken gewesen, daß die Frucht der Vergewaltigung sich wie ein Schmarotzer in ihr festgesetzt hatte und nicht mehr vertrieben werden konnte. Sie hätte es nur folgerichtig gefunden, wenn das Kind von ihrem Haß vergiftet, mit zwei Köpfen oder einem entstellten Gesicht geboren worden wäre.
    Nun lag es winzig und unschuldig an ihrer Brust, und sie entdeckte nichts an ihm, was Agamemnon glich. Agathon war wie jedes Neugeborene; ja, er war sehr klein, aber vollkommen geformt bis hin zu den Händchen mit den schönen kleinen Fingernägeln und den winzigen Fußnägeln an jeder Zehe.
    Wie seltsam, sich vorzustellen, daß dieses kleine weiche Wesen, das auf dem Schild seines Vaters liegen konnte und noch Platz für einen großen Hund gelassen hätte, vielleicht heranwuchs und eine mächtige Stadt zu Fall bringen würde. Doch im Augenblick war Agathon nur weich, duftete nach Milch, und wenn er an ihrer Brust trank, mußte sie an die hilflose kleine Biene in ihren Armen denken. Warum sollte dieses vollkommene kleine Wesen die Schuld für die Taten seines Vaters treffen?
    Aber Kassandra wußte, sie würde Agathon ebenso in der Fremde aufziehen lassen, wie Klytaimnestra es mit ihrem Sohn getan hatte, damit Agamemnon aus ihm keinen König machen konnte. Sie fand keinen Gefallen an der Vorstellung, ihr Sohn würde eines Tages vielleicht auf dem Löwenthron sitzen. Sie wollte nicht, daß Agathon im Geist der Achaier erzogen wurde.
    Vermutlich hatte Helena inzwischen Paris’ letzten Sohn geboren, und Kassandra fragte sich, ob Menelaos seine Drohung wahrgemacht und das Kind ausgesetzt hatte. Das war ihm durchaus zuzutrauen; die Achaier wollten nur ihre eigenen Söhne, als könne ein Kind einem anderen gehören als der Mutter, die es geboren hatte. Agamemnon wußte nicht einmal mit Sicherheit, ob er oder Ajax der Vater des Kindes war - oder sogar Aeneas. Sie würde sich hüten, ihn noch einmal daran zu erinnern. Agathon war  ihr  Sohn; er gehörte keinem Mann. Aber sie würde schweigen und Agamemnon um der Sicherheit des Kindes willen in dem Glauben lassen, es sei sein Sohn.
    Sie wickelte das Kind, hüllte es in ein Tuch und ging mit einer der Frauen aus dem Palast des Pharao, die am Tag zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatte, durch die Straßen der Stadt. Im Tempel der Göttin - eine abstoßende Statue einer Frau mit riesigen Brüsten wie eine Kuh und dem Kopf eines Krokodils - opferte sie ein Paar junge Tauben, kniete vor

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