Die Feuerzangenbowle
aus den gekürzten Ärmeln
stehen überlebensgroß die Handgelenke. Er sieht richtig drausgewachsen aus. Nur
die funkelnagelneue Pennälermütze ist etwas zu groß und sitzt ungemütlich und
steif wie die Dienstmütze eines Stationsvorstehers auf dem bürstenförmig
gestutzten Haar.
Hans Pfeiffer steht einsam herum und
ist sichtlich enttäuscht. Das hatte er sich aber ganz anders vorgestellt. Gewiß
war er hier nicht mehr Berlins gefeierter Schriftsteller; immerhin aber war er
doch der neue Schüler und für das Babenberger Gymnasium die große Sensation.
Bildete er sich ein. Jetzt mußten doch alle im dichten Kreise um ihn
herumstehen, ihn begaffen, bestaunen, ausfragen. Er hatte sich sorgfältig
zurechtgedacht, was er ihnen alles erzählen wollte.
Aber leider fragt ihn niemand. Leider
beachtet ihn niemand. Sie tun so, als wäre er gar nicht da.
Das hatte er sich wirklich ganz anders
vorgestellt.
Inzwischen haben die kleineren Jungens
ihre Balgereien unterbrochen und wimmeln kolonnenweise in die Türen. Die großen
schlenkern gemächlich hinterdrein. Nur die Lehrer gehen auf und ab. Für sie
gilt erst das zweite Glockenzeichen.
Ob es nicht doch besser wäre, noch
rechtzeitig umzukehren und auf die Folgen der Feuerzangenbowle zu verzichten?
Aber der Strom nimmt ihn auf, und ehe
er es weiß, ist er schon im Klassenzimmer.
Zum ersten Male sieht er einen solchen
Raum von innen. Da sind die drei großen, sachlichen Fenster, in der unteren
Hälfte mit Milchglas gedeckt, damit niemand hinausschaut — oder hereinblickt.
Da sind die Schulbänke in zwei Reihen aufmarschiert, in der Mitte einen Gang
lassend. In respektvollem Abstand davor ragt das hohe, engbrüstige Katheder,
darüber der Alte Fritz in Gips. In der einen Ecke der Ofen mit einem schiefen
Rohr und einem mächtigen Kohlenbecken; davor die große Schultafel, auf der noch
Stücke der letzten Algebrastunde vor den Ferien stehen. In der anderen Ecke der
große, eintürige Klassenschrank und unter dem ersten Fenster die Papierkiste.
Ringsherum kahle Wände in grüngrauer Ölfarbe, verziert durch ein Thermometer
und einige Tintenspritzer. Alles etwas verbraucht, etwas angestaubt, und vor
allem unsagbar nüchtern.
Über Nichtbeachtung kann sich Hans
Pfeiffer jetzt nicht mehr beklagen. Er steht verlegen an der Wand herum und
fühlt vierzehn Augenpaare, die an ihm herumgucken, ihn abtaxieren. Einige
feindselig, die meisten mit einer spöttischen Überlegenheit. Hihi, der Neue!
Wie sieht denn der aus?
Hans Pfeiffer fühlt, er hat sich doch
etwas zu stark verpennälert. Die genähte Krawatte — der harte, etwas zu weite
Kragen — der im Wachstum zurückgebliebene Rock — das hochstehende Bürstenhaar —
er sieht aus, wie aus den Fliegenden Blättern entlaufen. Es ist Lärm in der
Klasse, aber Hans Pfeiffer versteht nirgendwo ein Wort; offensichtlich reden
sie über ihn. Ihm ist, als höre er zwischendurch
leises Gelächter. Hans Pfeiffer fühlt, wie er rot wird. Er kommt sich vor wie
auf der Bühne; er hat plötzlich zwanzig Arme und weiß nicht, wohin er blicken
soll. Er weiß auch nicht, ob er stehenbleiben oder sich auf irgendeinen leeren
Platz setzen muß. Wenn er nur schon wieder draußen wäre! Er könnte ja so tun,
als hätte er sich verlaufen.
Da erheben sich plötzlich die Schüler.
Der Lärm bricht ab. Einer macht die Türe zu. Professor Crey ist eingetreten.
„Sätzen Sä sech!“
Hans Pfeiffer weiß nicht recht, ob er
jetzt vortreten soll.
„Sä sollen sech sätzen!“
Hans Pfeiffer drückt sich in einen
leeren Platz. Da sitzt er nun und weiß nicht, wie er sich als Schüler zu
benehmen hat. Er lugt verstohlen nach rechts und nach links — muß man die Arme
in bestimmter Weise legen — offenbar nicht — darf man die Beine
übereinanderschlagen? — Er kommt sich vor wie jemand, der sich in die Kirche
einer fremden Konfession geschlichen hat und alle Zeremonien mitmachen möchte,
um nicht aufzufallen.
Inzwischen hat Professor Crey ihn
bemerkt. „Sä send der neue Schöler?“
Aber warum spricht er durch die Nase?
Und warum sagt er „Schöler“?
„Ech heiße Sä em Namen onserer
Lehranstalt ond em Namen der Oberprema herzlech willkommen. Ech hoffe, Sä
werden sech recht wohl bei uns fohlen. Sätzen Sä sech da vorne, da kann ech Sä
besser beobachten. — Sä heißen?“
„Pfeiffer, Johann.“
„Met einem oder met zwei äff?“
„Mit drei, Herr Professor.“
„? ?“
„Eins vor dem ei und zwei hinter dem
ei.“
Die Klasse
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