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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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wahrscheinlich war die Kompagnie ausgerückt, und Studer dachte, daß es manchmal viel schwerer sei, ein Ziel willkürlich zu verfehlen, als einen Menschen zu treffen... Die Schießerei in der Offiziersmesse sollte eine Täuschung sein, und doch war es nicht leicht gewesen, im gegebenen Augenblick in die Luft zu schießen, während man doch so gerne jemanden getroffen hätte...
    Da wurde Studer aus seinen Träumen aufgeschreckt, denn der Mann sprach, und sein Schweizerdeutsch klang so merkwürdig verschollen und fremd, es war so kindlich in seiner Ausdrucksweise, daß der Wachtmeister am liebsten zu dem Mann gesagt hätte: »Schweig! Ruh dich aus! Und wenn du auch früher einmal, vor dreißig Jahren, gesündigt hast, so hast du bezahlt, teuer bezahlt!«
    »Kreuz-Nell«, murmelte der Alte und strich mit dem Rücken der Finger über die Bartstoppeln. Das gab ein unangenehm kratzendes Geräusch. »Kreuz-Nell – Geld, viel Geld. Und das Kreuz-As. Wieder Geld, noch mehr Geld. Da, der Ecken-König – das bist du und die Ecken-Dame, das ist deine Frau. Ein Brief ist unterwegs. Der Brief geht verloren. Aber du wirst deine Frau bald wiedersehen. Sie kommt grad nach dir – im Päckli... Heb ab! Schaufel-Dame, Treff-Dame und das Schaufel-Nell. Es sind zwei Frauen gestorben. Das geht dich etwas an, der Tod der zwei alten Frauen... Aber schau, da ist wieder Geld, die Kreuz-Acht. Glück, viel Glück. Du hast gute Karten. Aber ich hab' immer schlechte Karten. Bei mir kommt immer der Schaufel-Bauer heraus und gleich neben ihm die Schaufel-Zehn. Das bedeutet Tod...« Die alte Hand fuhr über die Zementplatte – da waren die Karten wieder ein Päckli. Der Mann hielt das Päckli in der linken Hand und strich mit dem Daumen und Mittelfinger der Rechten über deren Ränder.
    »Du siehst gescheit aus«, sagte der Mann mit eintöniger Stimme. »Ich will dir etwas erzählen... Du bist nicht der einzige, der es gern hört, wenn man ihm aus den Karten erzählt. Weißt, ich war einmal verheiratet, das erstemal war das, da hat die Sophie immer gesagt: ›Vicki‹, hat sie gesagt – denn sie hat mich immer Vicki genannt –, ›Vicki, schlag mir die Karten!‹ – Ich hab's getan schließlich, weil die Frau immer gekärrt hat... Und dann war's ein Fehler. Denn weißt du, bei mir ist's so, wenn ich Karten schlag', dann muß ich die Wahrheit sagen. Und ich hab' der Sophie die Geschichte erzählt, die Geschichte, die in Freiburg passiert ist... Weißt, die Freiburgerin ist immer wieder aufgetaucht in den Karten – jetzt weiß ich nicht mehr so genau, wie das damals alles zugegangen ist... Ich war verliebt, wir haben uns getroffen, in Bern, im Hotel. Wir haben uns heiraten wollen und ich hab' immer gesagt: ›Meitschi, du mußt warten, ich bin ja nur Student.‹ – ›Ich will nicht warten‹, hat sie gesagt. Sie war immer so aufgeregt. Chemie hab' ich studiert damals. Sie hat immer alles von den Giften wissen wollen. Was es für starke Gifte gibt. ›Cyankalium‹, hab' ich gesagt. Ob ich ihr nicht eine Pille verschaffen könnte. Zuerst hab' ich nicht gewollt. Und dann hab' ich mich doch überreden lassen...«
    Drei Karten vom Päckli abgehoben, zwei beiseite geworfen, eine aufgelegt. Wieder drei Karten, zwei beiseite geworfen... Das eintönige Klatschen der Karten in der winzigen Zelle!...
    »Schau, da ist sie wieder, die Freiburgerin! Die Schaufel-Dame... Und daneben der Schaufel-Bauer... Das bin ich... Wir können nicht auseinanderkommen. Immer kommen wir zusammen aus dem Päckli heraus. Untrennbar... Und das alles hab' ich der Sophie erzählt. Dir muß ich es auch erzählen... Wenn ich Karten schlage, muß ich die Wahrheit sagen... Wie heißt du eigentlich?«
    »Jakob«, sagte Studer kurz.
    »Jakob?... So! Merkwürdig... Wie mein Bruder... Weißt du, wo mein Bruder ist?«
    »Ja«, sagte Studer.
    Ein ungeheures Erstaunen breitete sich über das alte Gesicht aus.
    »Du weißt, wo der Jakob ist?«
    »Ja«, sagte Studer noch einmal.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es.«
    Der Alte mischte wieder die Karten, um seine Lippen lag ein Lächeln, das wohl niemand verstanden hätte. Studer verstand es.
    War es wirklich so schwer zu verstehen, wenn man das Telegramm gesehen hatte, das Capitaine Lartigue von Marie erhalten hatte? Das Telegramm war in Bel-Abbès aufgegeben worden. Wozu hatte Marie in Bel-Abbès fünftausend Franken gebraucht?... Mit der Hälfte der »Prime«, die Despine, alias Koller Jakob, eingesackt hatte, mit den 250

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