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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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das mir inzwischen wie angegossen passte.
    Ich bat ihn herein.
    Er kam durch die Tür und sah mich dabei genauso an, wie er mich auf dem Friedhof angesehen hatte. Mit dem gleichen Glimmen, das ich in den Augen des Geldverleihers gesehen hatte, als ich dummes Huhn ihm, auf seinem Schoß sitzend, den Film erzählte. Aber der Herr Verwalter war viel schmucker als dieser räudige alte Geldverleiher. Und er hatte blaue Augen. Die Leute sagten, er sei ein netter Gringo.
    Er trug einen Panamahut.
    Er rauchte Pfeife.
    Er sprach ein Spanisch, das zum Lachen reizte.
    Außerdem hieß es, er sei verheiratet gewesen, als er in die Gegend kam, seine Frau sei aber lieber wieder heimgefahren, als sie die unerträgliche Atacamawüste sah. »Hier wird man als Frau doch zur Salzsäule«, hat sie angeblich gesagt.
    Der Herr Verwalter fragte mich, ob ich wisse, dass ich das Haus abgeben müsse.
    Ich bejahte.
    Er fragte mich, ob ich wisse, wohin.
    Ich verneinte.
    Er fragte, ob ich bleiben wolle.
    Ich bejahte.
    Er fragte, ob ich noch etwas anderes könne, als Filme erzählen.
    Ich verneinte.
    Da sah er mich lange an. Fachmännisch. Wie man ein Rennpferd ansehen würde. Dann nahm er nachdenklich einen Zug von seiner Pfeife und ging scharf umrissen vor der weißen Wand auf und ab, wo ich sonst meine Filme erzählte. Ich folgte ihm wortlos mit dem Blick. Als er stehenblieb, mich wieder ansah und sich dabei übers Kinn strich, fiel mir ein (wegen der Handbewegung, mit der er sich übers Kinn strich), dass ich ihn schon einmal bei uns zu Hause gesehen hatte, im Gespräch mit meiner Mutter. Damals hatte mein Vater noch gearbeitet.
    »Mal sehen, was man für dich tun kann, Mädchen«, sagte er schließlich.
    Die Sache war dann so, dass ich als Packerin im Minenladen unterkam und nachts in den Armen des Herrn Verwalters schlief. Wir waren nicht in einem Bauerndorf, und hier war das auch nicht üblich, ich war aber trotzdem vierzehn und der Gringo einundfünfzig.
    40
    Das Fernsehen befiel die Siedlung wie eine unbekannte und hochgradig ansteckende Krankheit. Und offensichtlich war kein Kraut dagegen gewachsen.
    Nach der Konditorei von Don Primitivo bekam der Club der Angestellten einen eigenen Apparat. Danach der Arbeiterverein. Danach der Süßwarenladen der seligen Doña Filiberta. Danach fingen die Leute an Schulden zu machen und kauften sich ihren eigenen Apparat. Es dauerte kein Jahr, da hatte jeder einen im Haus. Die Arbeiter einen von vierzehn Zoll, die Angestellten und Chefs einen von dreiundzwanzig Zoll. Aus den Dächern der Häuserzeilen wuchsen Antennenwälder, und überall konnte man ein Kauderwelsch aus neuen Begriffen hören: Frequenz, Signal, Auflösung, Bildröhre, Kanal.
    Das Fernsehen war gekommen, um zu bleiben.
    Zum ersten Mal blieben im Kino jetzt ganze Sitzreihen leer. Und die Leute saßen auch nicht mehr abends auf dem Platz. Die Straßen sahen sogar noch ausgestorbener aus, als sie immer schon ausgesehen hatten, vor allem wenn im Fernsehen gerade Barnabás Collins lief, eine abgeschmackte Vampirserie.
    Ich wiederum wurde nur noch selten von greisen kranken Damen (ohne Fernseher) ins Haus bestellt, damit ich ihnen einen alten Film erzählte. Oder man lud mich zu irgendwelchen Künstlerabenden im Arbeiterverein ein, wo ich als Pausenfüller ein paar Lieder sang.
    Bei solchen Gelegenheiten war ich, auch wenn der Applaus nicht derselbe war wie früher, wieder glücklich.
    41
    Zu der Zeit ereignete sich einiges, was die Welt veränderte. Die Hippies tauchten auf. Der Mensch betrat den Mond (es wurde im Fernsehen gezeigt). Salvador Allende gelangte an die Macht. Einmal fuhr Comandante Fidel Castro bei uns durch die Hauptstraße – wir sahen nur, wie sein Bart hinter der Scheibe eines Jeeps vorbeischwebte.
    In ihrem Heimatdorf im Süden nahm sich meine Mutter das Leben. Sie erhängte sich an einem Feigenbaum. Es hieß, sie hätte eins ihrer Seidentücher dafür benutzt, eins von denen, die sie so geliebt hat.
    Ich erfuhr zwei Monate später davon.
    Unterdessen ereignete sich der Staatsstreich von General Pinochet. Mit dem Putsch verschwanden viele Dinge. Leute verschwanden. Die Eisenbahn verschwand. Das Vertrauen verschwand.
    Der Herr Verwalter verschwand.
    Sie setzten einen Militär auf seinen Posten. Ich war wieder allein. Er ging, ohne Lebewohl zu sagen. Es hieß, er sei in sein Land zurückgekehrt (andere raunten, man habe ihn erschossen). Am Ende hatte ich den Gringo liebgewonnen. Auch wenn er sich manchmal betrank und mich

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