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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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mich an die Tür.
    Aber es kam niemand.
    Von der anderen Straßenseite aus rief mir einer im Vorbeirennen zu, alle seien bei Don Primitivo und schauten sich dieses neue Fernsehen an.
    Ich schloss das Haus ab und ging nachsehen, was der Aufruhr sollte.
    37
    In der Konditorei war Don Primitivo, die Betriebsanleitung in Händen und vom Elektriker der Siedlung unterstützt, damit beschäftigt, das Monstrum ans Laufen zu bringen. Er hatte ihm einen Platz auf einem der Auslagenbretter hinter der Theke freigeräumt, zwischen den Gläsern voller Bonbons und dem Zigarettenständer. Der Laden war bevölkert wie noch nie. Sogar die beiden Polizisten der Nachtstreife hatten ihren ersten Rundgang unterbrochen und wollten die Neuerwerbung sehen.
    Während der Elektriker Stecker und Kabel prüfte, war Don Primitivo in die Bedienungsanleitung vertieft wie in eine Piratenschatzkarte und hantierte wie wild an den Knöpfen und Schaltern herum. Gleichzeitig richteten zwei Männer auf dem Dach die Antenne danach aus, was die Leute unten im Chor brüllten:
    »Weiter rüber!«
    »Bisschen mehr nach da!«
    »Mehr nach da!«
    »Bisschen weiter rüber!«
    Dabei starrten alle unverwandt auf den Bildschirm, als müsste dort jeden Moment eine himmlische Erscheinung sichtbar werden.
    Man konnte aber, von einem nervtötenden Spratzen begleitet, bloß schwirrende Blitze und Pünktchen erkennen, so ähnlich wie die Heuschreckenplage, die ich mal in einem Film gesehen hatte.
    Nach einer Weile erkannte man auf dem Bildschirm erste Bilder von etwas, das wohl ein Kriegsfilm sein sollte. Die Figuren bewegten sich schemenhaft, als spielte der Film unter Wasser. Aber man hörte absolut nichts, nur das Geräusch von frittierten Kürbispfannkuchen (daran erinnerte das Spratzen) und manchmal vereinzelte Satzfetzen, die vom Publikum bejubelt wurden.
    In den flüchtigen Momenten, wenn Bild und Ton übereinstimmten, gerieten die Leute völlig außer sich und schrien den Männern an der Antenne zu:
    »Ja, so!«
    Aber dann wieder Spratzen und Heuschrecken.
    Ich betrachtete die Leute, die sich vor dem Gerät drängten (darunter viele meiner eifrigsten Zuhörer), und sah, wie ihre Augen glänzten, sobald Bild und Ton kurz zueinanderfanden. Derselbe Glanz wie bei mir daheim, wenn ich in der Maske des Zorro einen Luftsprung mit dem Degen vollführte und dann mit drei sicheren Hieben unverkennbar das Z in die Luft ritzte.
    38
    Ich verließ die Konditorei mit gemischten Gefühlen. Einerseits ahnte ich, dass stimmte, was geredet wurde: Sollte das Fernsehen sich durchsetzen, so würde das zwangsläufig das Ende des Kinos bedeuten. Aber ich empfand auch eine leise Hoffnung für meine Arbeit, denn nachdem ich gesehen hatte, worum es sich handelte, schien mir ausgeschlossen, dass jemand auf die Dauer lieber solche schemenhaften Bilder sah (obendrein in so einer gefühllosen Kiste), als die Filme von mir erzählt zu bekommen.
    Auch wenn mir nicht entgangen war, dass diese Apparatur eine unwiderstehliche Faszination auf jeden ausübte, der sie betrachtete, würden die Leute doch gewiss wieder zu sich kommen, wäre die Neuigkeit erst einmal verflogen, und dann würden sie den Zauber abschütteln, wie sich nasse Hunde das Wasser aus dem Fell schütteln, sie würden wieder ins Kino gehen und zu mir ins Garniturzimmer kommen.
    Ich würde wieder meine Filme erzählen.
    »Die Flimmerkiste« (wie manche das Ding bereits vertraulich nannten) war so etwas wie ein neues Kaugummi: Wäre es erst zur Genüge durchgekaut, würde es fad schmecken und unweigerlich ausgespuckt.
    Sie würden ja sehen.
    39
    Als das Fernsehen kam, war mein Bruder gerade seit einer Woche in Haft. Ich fragte mich schon langsam, warum das Unternehmen niemand schickte, um mir mitzuteilen, ich müsse das Haus räumen, da erschien an einem Montagmorgen das rote Gesicht des Herrn Verwalters im Fensterrahmen.
    Über der Wüste gleißt fast jeden Tag die Sonne, aber das war einer der seltenen Vormittage mit Wolken am Himmel. Mir war inzwischen klargeworden, dass mir die schlimmen Sachen an bewölkten Tagen passierten. Wenn es stimmte, dass »Spinnen nur an bewölkten Tagen weben«, wie laut meinem Vater dessen Großmutter immer behauptet hatte, dann war mein Unglück wohl so etwas wie eine besonders emsige Spinne.
    Als der Gringo am Fenster erschien und mit seinem komischen ausländischen Akzent nach mir rief, trug ich das Kleid meiner Mutter, das mit den roten Tupfen und den Volants, das Papa so sehr gehasst hatte und

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