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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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sie stiegen meiner Mutter nach.
    Die »frankyblauen Augen«, das haben Sie bestimmt längst erraten, wegen Frank Sinatra, auch einer meiner Lieblingsschauspieler.
    35
    Das Erste, was nach dem Tod meines Vaters passierte, war das Unglück mit meinem kleinen Bruder Marcelino. Der wurde eines Abends, als er draußen Verstecken spielte, von den Hinterrädern des Müllwagens erfasst. Er war sofort tot.
    Wie habe ich geheult und seinen kleinen Buchkopf an mich gedrückt!
    Einige Zeit später entbrannte mein Bruder Mirto, der nie was mit Mädchen gehabt hatte, in heller Liebe zu einer jungen Witwe, die zu Besuch in der Siedlung war, eine Schwarze Witwe, die ihm das Hirn aussaugte, so dass er ihr ohne Zögern in die Stadt Coyhaique folgte. Über viertausend Kilometer in den Süden des Landes!
    Er ging, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
    Er war sechzehn, die Witwe achtundzwanzig.
    Danach trat eine Profifußballmannschaft, die auf einer Rundreise durch den Norden war, in einem Freundschaftsspiel gegen eine Auswahl aus der Siedlung an. Als sie meinen Bruder Manuel spielen sahen, waren sie so begeistert von seinen Finten und Tricks, dass sie ihn mit in die Hauptstadt nahmen, wo er in einer der unteren Ligen trainieren sollte.
    Wenigstens sagte er uns Lebewohl.
    Richtig traurig (so traurig wie der Tod von Marcelino) war aber das, was Mariano passierte, meinem ältesten Bruder. Da er ja jetzt für das Unternehmen arbeitete und einen Lohn bekam wie ein Großer, konnte er auch trinken wie ein Mann. Erst arbeitete er, dann trank er mit seinen Freunden. Eines Abends, er war sternhagelvoll, fiel ihm nichts Besseres ein, als am langen Kantinentisch und aus vollem Hals zu verkünden, er habe das Arschloch von Geldverleiher totgeschlagen. Zwei Tage später kamen die Kommissare vom Hafen hoch und nahmen ihn mit.
    Er hat keinen Ton davon gesagt, dass er ihn umgebracht hatte, um die Schweinerei zu rächen, die der Mann mir angetan hatte. Er blieb dabei, er habe dem miesen Wucherer Geld stehlen wollen, in seinen Taschen aber nichts als Brotkrümel gefunden.
    Als letzter Tropfen in dem schon vollen Fass kam damals das erste Fernsehgerät in die Siedlung, ein Apparat, der, wie alle unkten, dem Kino schon bald den Garaus machen würde. Damit, dass mein Bruder fort war, verlor ich das Haus, durch die Sache mit dem Fernsehen lief ich Gefahr, meine Arbeit zu verlieren.
    Marianos Verhaftung und die Ankunft des Fernsehens, diese beiden fast gleichzeitigen Ereignisse, besiegelten mein Schicksal.
    36
    Die Ankunft des ersten Fernsehapparats in der Siedlung war ein echtes Spektakel.
    Don Primitivo, der Besitzer der Konditorei, hatte in alle vier Winde posaunt, er werde an den Hafen fahren und ein »Radio mit Affen« besorgen. Er hatte sogar schon eine sechs Meter hohe Kupferantenne installieren lassen. Folglich stand an dem Abend, als er mit einer gewaltigen Pappkiste als einzigem Gepäckstück aus dem Bus stieg, das halbe Minendorf zu seinem Empfang bereit.
    Der stämmigste von den Jungs wuchtete sich die Kiste mit der Aufschrift Westinghouse auf die Schulter und schwankte, von der Meute umringt, los. Eine Traube Kinder sprang um ihn herum und versuchte die Kiste zu berühren, während die älteren Herrschaften in heller Aufregung auf ihn einredeten, er solle nur ja langsam machen und schauen, wo er hintrat, diese Gerätschaften, die seien ja so empfindlich. Als handelte es sich mindestens um das Bildnis der heiligen Jungfrau von Tirana, erreichte der Apparat und mit ihm die gesamte Prozession der Gläubigen die Konditorei.
    So hat man es mir später erzählt. Ich sah um die Zeit gerade einen Cowboyfilm mit Gary Cooper. Als ich nach Hause kam, wartete dort niemand auf mich. Ich kochte mir eine Tasse Tee, trank ihn und gab mir Mühe, ausschließlich an den gerade gesehenen Film zu denken.
    Ich saß eine Weile wartend am Tisch.
    Dann legte ich den Gürtel mit den Holzrevolvern um und setzte den breitkrempigen Hut auf und übte vor dem Spiegel Gary Coopers »stahlharten Blick«. Eine Weile trainierte ich das Ziehen: Ich riss die Revolver so schnell ich konnte aus dem Gürtel, schoss, ließ sie um den Zeigefinger wirbeln und steckte sie wieder zurück.
    Vor kurzem hatte ich gelernt, dass die Cowboys ihre Gürteltaschen einfetteten und das Korn am Lauf polierten, um schneller ziehen zu können. Meine Revolver hatten kein Korn, also würde ich nur die Taschen fetten können. Gleich morgen würde ich im Minenladen ein Stück Fett besorgen.
    Danach stellte ich

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