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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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nicht möglich sei? Bitte, sie müssten doch Milch für ihr Jüngstes kaufen.
    Aber nichts da, der Mann war hart und gefühllos wie eine Lage Rohsalpeter.
    Zweimal war ich dabei gewesen, als Mama Vaters Lohnstreifen versetzte, und hatte sein ausdrucksloses Gesicht gesehen.
    Er sah wirklich aus wie ein wandelndes Skelett.
    Niemand hatte ihn je lächeln sehen.
    29
    Der Mann lebte in einem stillen und dunklen Haus in der letzten Straße am westlichen Rand der Siedlung. Es war Sonntag, als ich hinging, um ihm seinen Film zu erzählen.
    Und der Himmel war bewölkt.
    Die Straßen waren wie immer zur Mittagszeit menschenleer. Und an dem Tag besonders, weil auf dem Fußballplatz etwas außerhalb vom Minendorf das Endspiel der Lokalmeisterschaften ausgetragen wurde. Fußball war das andere, was die Leute vor dem Überdruss der Einöde bewahrte.
    Als ich mit meinem Bruder Manuel (den mein Vater vom Fußballplatz hatte holen lassen, damit er mir half) bei dem Haus ankam, trat der Geldverleiher vor die Tür, sah mich scharf an und fragte, wozu die Kiste gut sei. Ich erklärte es ihm, und er sagte knapp:
    »Ohne Verkleidung.«
    Überglücklich machte Manuel sich mit der Kiste wieder auf den Weg nach Hause und rannte von dort zurück auf den Fußballplatz. Ich dachte erst, dass der Herr sich die Figuren selbst ausmalen wollte, so wie es ihm gefiel. Das schien mir nicht verkehrt. Aber dann kam mir sein Verhalten doch irgendwie hinterhältig vor. Nur dass ich nicht weiter darauf achtete. Ich dachte, ich hätte zu viele Filme gesehen.
    Der Geldverleiher lebte allein. Der Vorhang vorm Fenster war zugezogen, und drinnen war es finster. Ich staunte, wie vollgestellt das Wohnzimmer war, wunderte mich über die vielen alten Möbel und staubbedeckten Truhen. Bei mir daheim gab es zwar vielleicht keine Möbel, aber dafür war es viel luftiger als hier.
    Auf den Regalbrettern an den Wänden drängten sich Dinge, die bestimmt von Leuten verpfändet worden waren: Radiogeräte, Fotoapparate, Porzellanservice, Anzüge aus englischem Kaschmirstoff. Ich stellte mir Hunderte von Uhren und Goldringen in den Truhen vor. Auf einer Kredenz lag ganz in der Ecke, zusammengehalten von Geldscheingummis, das Bündel mit den versetzten Lohnstreifen. Das ganze Minendorf wusste, dass der Geldverleiher die Streifen argwöhnisch überallhin mitnahm, selbst in seine Pförtnerloge im Schlafhaus, für den Fall, dass einen der Arbeiter ein unverhoffter Geldsegen ereilte und er seinen Streifen auslösen wollte. Der Mann nahm vierundzwanzig Stunden am Tag Geld an.
    Don Nolasco setzte sich auf ein Sofa. Ich stand vor ihm und wollte ihm den Film erzählen. Er hatte einen mit John Wayne bei mir bestellt, der erst kürzlich im Kino gelaufen war. Zum ersten Mal spürte ich, dass mir die Knie zitterten. Zum ersten Mal fand ich die Worte nicht, um meine Erzählung zu beginnen. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich meinen Bruder hatte gehen lassen.
    Ich hatte Angst.
    Der Mann war so etwas wie der Bösewicht im Dorf.
    Als ich eben zu erzählen angefangen hatte, unterbrach er mich barsch und sagte, er höre auf einem Ohr schlecht, ich solle etwas näher kommen. Dann sagte er, ich könne den Film besser erzählen, wenn ich auf seinem Schoß säße.
    Er sagte das in einem schneidenden Ton, und ich traute mich nicht, ihm nicht zu gehorchen.
    Auf seinen knochigen Knien sitzend, fing ich noch einmal von vorn an. Der Mann sah mich sonderbar an. Ich merkte, dass ihm der Film piepegal war. Aber da war es schon zu spät. In dem Moment fing er an, das mit mir zu tun, was er mit mir tat. Durch die Angst wurde mein Körper wie Gelatine, und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Der Mann machte mit mir, was er wollte, vor allem von der Taille aus abwärts.
    Ich hatte zwar schon das eine oder andere mit den Freunden meiner Brüder angestellt, als wir noch zusammen in die aufgelassenen Salpeterfelder gegangen waren, aber das waren ja bloß Kindereien gewesen. Jetzt fühlte ich mich innendrin zerfetzt.
    Ich verließ das Haus wie betäubt.
    Auf dem Nachhauseweg kam ich mir vor, als ginge ich über Schwämme, und eine nach der anderen entglitten mir die Münzen, die der Mann mir mit Gewalt zwischen die Finger gepresst hatte, bevor er mich gehen ließ. Ein Gefühl grenzenloser Scham machte alles Denken unmöglich. Ich fühlte mich sogar für die Luft, die ich atmete, zu verdreckt.
    Als ich in unsere Häuserzeile einbog, sah ich meinen Vater vor der Tür sitzen und riss mich zusammen, so gut ich

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