Die Finsternis
ich mich auf eine direkte Konfrontation mit einem Raubtier dieser Größe einlassen.
Ein Gong ertönte und Wasser spritzte am Rand des überfluteten Bereiches auf. Die drei Surfs mit den Messern zwischen den Zähnen waren ins Wasser gesprungen. Ich erstarrte, unfähig zu begreifen, was ich da sah. Die anderen Surfs rannten mit erhobenem Dreizack auf den Sitzen entlang und suchten das Wasser ab. Ratter musste diese Irren aus einer Nervenheilanstalt geholt haben. Die waren lebensmüde – jeder Einzelne von ihnen.
Im ganzen Stadion waren die Zuschauer auf den Beinen und feuerten die Surfs an. Es überraschte mich nicht, dass die Topsider nach Blut schrien. Doch dann bemerkte ich, dass die Surfs ebenfalls aufgesprungen waren und jubelten.
In diesem Moment wurde mir alles klar.
Diese Menschen waren nicht dazu gezwungen worden, über den Stacheldrahtzaun zu klettern. Sie wollten auf dieser Seite sein. Ratters Worten nach lieferte ein Krokodil über eine Tonne weißes Fleisch. Das war genug, um ein ganzes Township satt zu bekommen. Kein Wunder, dass die Surfs ihre mit Narben übersäten und verkrüppelten Körper voller Stolz zur Schau trugen. Sie hatten Leib und Leben für ihr Township riskiert und überlebt. Ich fragte mich nur, wie viele es nicht geschafft hatten.
Ein Augenpaar durchbrach die Wasseroberfläche und ich konnte die katzenartigen Pupillen des Krokodils erkennen – eine Tatsache, die mein Herz zum Rasen brachte. Das Biest war mir nicht nur ganz nah, senkrechte Pupillen bedeuteten auch, dass es im Dunklen ausgezeichnet sehen konnte. Als hätte ein tausend Kilogramm schweres Reptil noch weitere Vorteile nötig.
23
»Plover, schnell, geh auf die andere Seite des Siedlers«, rief eine Stimme hinter mir der Frau zu.
Sie nickte. »Lass mich durch«, sagte sie dann zu mir.
Ich drückte mich gegen den Stacheldraht und spürte, wie er durch meinen Taucheranzug stach. Es war aber die einzige Möglichkeit, ihr genügend Platz zu verschaffen, damit sie sicher an mir vorbeikam. Sie war im Handumdrehen auf der anderen Seite. Doch sowie sie ihren Dreizack erhoben hatte, tauchte die Kreatur auch schon unter.
»Danke«, sagte die Stimme hinter mir. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah hinter dem Stacheldraht ein Mädchen etwa in meinem Alter, das ziemlich wild aussah und ihr Haar ebenfalls mit gelbem Lehm nach hinten gekämmt hatte. »Die meisten Jäger würden keinen anderen vorbeilassen«, erklärte sie. »Manchmal tun sie auch nur so, und dann stoßen sie die andere Person ins Wasser.«
»Ty ist kein Jäger«, sagte Gemma, die sich jetzt neben das Mädchen am Stacheldrahtzaun stellte. »Er wurde dazu gezwungen, da reinzuklettern.«
»Das haben wir gesehen. Aber kein Surf würde es wagen, sich gegen einen von Bürgermeister Fifes Schlägertypen zu stellen.« Das Mädchen hörte auf zu reden und beobachtete stattdessen, wie Plover mit erhobenem Dreizack das Wasser absuchte. Aber das Krokodil machte keine Anstalten, wieder aufzutauchen. Das Mädchen atmete erleichtert auf und sagte: »Ich bin Eider. Und das ist meine Schwester Plover. Wir sind von der Shearwater. «
So dicht wie möglich an den Stacheldraht gepresst, wartete ich darauf, dass Gemma Eider nach der Drift fragte. Ich hätte es selbst getan, aber ich schätzte, es würde nicht viel bringen, wenn ich es über meine Schulter rief, und außerdem wollte ich meinen Blick nicht vom Wasser abwenden.
»Findet das hier jede Nacht statt?«, fragte Gemma.
Auch eine interessante Frage.
»Einmal im Monat«, erwiderte Eider. »An jedem Fünfzehnten bei Sonnenuntergang, wenn unsere Vorräte aufgebraucht sind und die nächste Lieferung noch zwei Wochen hin ist.«
Gemma rang nach Luft. »Niemand zwingt sie dazu?«
»Natürlich nicht«, sagte Eider überrascht. »Das Fleisch hilft uns über die Runden und das Leder ist ein Vermögen wert. Doch wir dürfen sie nur innerhalb des Stadions in dieser einen Nacht jagen. Und es ist auch nur ein Jäger pro Township erlaubt. Sobald ein Krokodil getötet wurde, ist der Wettkampf vorbei. Die Jäger können dann nicht mehr tun, als sich gegenseitig zu verwunden.«
»Das ist verrückt«, hörte ich Gemma sagen.
Da wurde in der Mitte des Stadions das Wasser aufgewühlt. Gleich darauf zog sich eine Frau auf eine der aufgeschütteten Inseln. Sie kletterte ganz nach oben und ein Krokodil hetzte ihr hinterher. Glücklicherweise hielt es auf halbem Wege inne. Als die Frau ihren Dreizack hob, sah ich, dass ihr Arm
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