Die Flamme erlischt
Meer verdampft. Aber der toberianische Schild schützte vor allen Naturgewalten, und wir verlebten einen langen, strahlenden Sommer. Auf ähnliche Weise hilft er jetzt, die Wärme zu halten. Dennoch hat er, wie alles, seine Grenzen. Die Kälte wird kommen.«
»So habe ich mir unser Zusammentreffen eigentlich nicht vorgestellt«, sagte Dirk. »Warum sind Sie heraufgekommen?« »Auf gut Glück. Vor Jahren erzählte mir Gwen, daß Sie die Morgendämmerung lieben. Und andere Dinge auch, Dirk t'Larien. Ich weiß mehr von Ihnen als Sie von mir.«
Dirk lachte. »Das ist wahr. Bis gestern abend wußte ich nicht einmal von Ihrer Existenz.«
Jaan Vikarys Gesicht war hart und ernst geworden. »Aber ich existiere. Denken Sie immer daran. Und wir können Freunde sein! Ich hoffte darauf, Sie allein anzutreffen und Ihnen dies mitzuteilen, bevor die anderen aufwachen. Wir sind hier nicht auf Avalon, t'Larien, und heute ist nicht gestern. Wir befinden uns auf einer sterbenden Festivalwelt, einer Welt ohne eigene Normen. Deshalb muß jeder streng die Normen befolgen, die ihm mitgegeben wurden. Versuchen Sie nicht, mein Selbstverständnis auf die Probe zu stellen. Seit meinen Jahren auf Avalon habe ich mich bemüht, mich selbst als Jaan Vikary zu begreifen, aber ich bin immer noch ein Kavalare. Zwingen Sie mich nicht, Jaantony Riv Wolf Hoch-Eisenjade Vikary zu sein.«
Dirk stand auf. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie meinen«, sagte er. »Aber ich glaube, ich kann herzlich und offen sein. Ich habe bestimmt nichts gegen Sie, Jaan.«
Das schien zu genügen, um Vikary zufriedenzustellen. Er nickte gemächlich und griff dann in seine Hosentasche. »Ein Zeichen meiner Freundschaft und meines Interesses an Ihnen«, sagte er. In seiner Hand lag eine schwarze Kragennadel aus Metall, ein winziger Manta. »Würden Sie es für die Zeit Ihres Aufenthalts auf Worlorn tragen?« Dirk nahm die Nadel aus seiner Hand. »Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann«, sagte er, amüsiert über die Förmlichkeit des anderen. Er heftete die Nadel an seinen Kragen.
»Diese Morgendämmerung ist düster«, sagte Vikary, »und der Tag wird nicht viel besser werden. Kommen Sie hinunter zu unseren Quartieren. Ich werde die anderen wecken, dann können wir essen.«
Das Appartement, das Gwen mit den beiden Kavalaren teilte, war riesengroß. Der Wohnraum wurde durch einen zwei Meter hohen und doppelt so breiten Kamin beherrscht, über dem sich ein schiefergrauer Sims mit finster blickenden Wasserspeiern befand, die wohl die Asche bewachen sollten. Vikary führte Dirk über einen breiten schwarzen Teppich in ein Eßzimmer hinein, das fast ebenso groß war. Dirk setzte sich auf einen der zwölf Holzstühle mit hoher Rückenlehne, die den großen Tisch umstanden, während sein Gastgeber sich um das Essen und Gesellschaft für ihn kümmerte.
Kurze Zeit später kam er mit einer Platte, auf der dünngeschnittene Fleischscheiben lagen, und einem Korb mit Zwieback zurück. Er stellte beides vor Dirk ab, wandte sich um und ging wieder. Er war gerade verschwunden, als sich eine andere Tür öffnete und Gwen mit schlaftrunkenem Lächeln eintrat. Sie trug ein altes Stirnband, verwaschene Hosen und eine unförmige grüne Bluse mit weiten Ärmeln. Er konnte das Glitzern ihres schweren Jade-und-Silber-Armreifs sehen, der ihren linken Arm eng umschloß. Einen Schritt hinter ihr kam ein weiterer Mann in den Raum, fast ebenso groß wie Vikary, aber einige Jahre jünger und viel schlanker. Er trug einen kurzärmeligen, einteiligen Anzug aus rotbraunem Chamäleonstoff und blickte Dirk aus lebhaften, blauen Augen an, den blauesten, die Dirk je gesehen hatte. Ein roter Vollbart schmückte sein hageres, scharfgeschnittenes Gesicht. Gwen setzte sich. Der Rotbart hielt vor Dirks Stuhl an. »Ich bin Garse Eisenjade Janacek«, sagte er. Er bot seine Handflächen an. Dirk erhob sich, um die seinen dagegen zu pressen.
Garse Eisenjade Janacek trug, wie Dirk feststellte, eine Laserpistole an seiner Hüfte, eingehängt in ein Lederhalfter an einem silberglänzenden Netzstahlgürtel. Seinen rechten Unterarm umspannte ein schwarzer Armreif, ein Zwilling des Reifs von Vikary – Eisen und Glühstein. »Wahrscheinlich wissen Sie, wer ich bin«, sagte Dirk. »In der Tat«, erwiderte Janacek. Er stellte ein recht arglistiges Grinsen zur Schau. Beide setzten sich.
Gwen kaute bereits auf einem Zwieback herum. Als Dirk sich auf seinem Stuhl niedergelassen hatte, beugte sie sich über
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