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Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Gestern Glück und morgen Glück, aber niemals heute, Dirk. Es kann gar nicht sein, weil es letzten Endes eben nur eine Illusion ist, und Illusionen sehen aus der Ferne echt aus. Zwischen uns ist es aus, mein Liebling, und das ist das beste, was uns passieren konnte, denn es ist das einzige, was es gut macht.«
    Sie weinte, langsam liefen die Tränen ihre Wangen hinab. Kryne Lamiya weinte mit ihr, die Türme sangen ihr Klagelied. Aber sie machten sich gleichzeitig über sie lustig, als wollten sie sagen: Ich begreife deinen Schmerz, aber auch die Trauer hat nicht mehr Bedeutung als alles andere, der Schmerz ist so leer wie das Vergnügen. Die Spiralentürmchen heulten, dünne Gitter lachten irre, und die tiefe, weit entfernte Pauke machte bumm, bumm, bumm. Wiederum, und diesmal noch stärker, verspürte Dirk das Verlangen, vom Balkon hinabzuspringen, dem bleichen Stein und den dunklen Kanälen entgegen. Ein schwindelerregender Fall – und dann endlich Ruhe. Aber die Stadt schalt ihn singend einen Narren. Ruhe? sang sie. Im Tod gibt es keine Ruhe. Nur das Nichts. Nichts. Nichts. Die Trommel, die Winde, das Heulen. Zitternd hielt er Gwens Hand. Weit unter sich sah er den Erdboden.
    Etwas bewegte sich den Kanal entlang. Etwas kam mit leichter Fahrt auf ihn zu. Ein schwarzer Kahn mit einem einsamen Steuermann. »Nein«, sagte er.
    Gwen blinzelte. »Nein?« wiederholte sie.
    Und plötzlich sprudelten die Worte hervor, die Worte, die der andere Dirk t'Larien zu seiner Jenny gesagt hätte, und die Worte waren in seinem Mund. Obgleich er nicht sicher war, ob er sie noch glauben konnte, schrie er sie fast hinaus. »Nein!« rief er als wütende Antwort auf die spöttische Musik Kryne Lamiyas. »Verdammt noch mal, Gwen, alle von uns haben ein bißchen von dieser Stadt in uns. Es kommt darauf an, wie wir diesem Teil entgegentreten. Alles wirkt furchteinflößend« er ließ ihre Hand los und gestikulierte mit einer schwungvollen Handbewegung in die Dunkelheit hinaus –, »alles, was sie sagt, und es wird noch viel schlimmer, wenn ein Teil von dir zustimmt, wenn du alles als Wahrheit nimmst, wenn du hierher gehörst. Aber was kann man dagegen tun? Wer schwach ist, ignoriert das einfach. Tue einfach so, als wäre es nicht da, vielleicht verschwindet es dann von selbst. Beschäftige dich tagsüber mit trivialen Aufgaben und wage nicht an die Dunkelheit draußen zu denken. Auf diese Weise wird es die Oberhand über dich gewinnen, Gwen. Am Ende verschluckt es dich und deine Trivialitäten, und du und die anderen Narren liegen grüblerisch da und heißen es auch noch willkommen. So kannst du doch nicht sein, Gwen, so geht es einfach nicht. Du mußt dich zusammenreißen. Du bist doch Ökologin, nicht wahr? Was ist die Ökologie denn? Leben? Du mußt auf der Seite des Lebens stehen, alles, was du bist, schreit danach. Diese Stadt, diese verdammte totenbleiche Stadt mit ihrer Todeshymne, lehnt alles ab, woran du glaubst und was du bist. Wenn du stark bist, stellst du dich ihr entgegen, nennst sie beim Namen und kämpfst gegen sie an. Trotze ihr!«
    Gwen hatte aufgehört zu weinen. »Es hat keinen Zweck«, sagte sie kopfschüttelnd.
    »Du hast unrecht«, erwiderte er. »Was die Stadt und was uns angeht. Es sieht alles ganz anders aus, verstehst du? Du sagst, du möchtest hier leben? Hier leben !In dieser Stadt zu leben, bedeutet schon in sich einen Sieg, einen philosophischen Sieg. Aber lebe hier, weil du weißt, daß das Leben selbst Lamiya-Bailis widerlegt, lebe hier und lache über ihre absurde Musik, lebe nicht hier, um diese verdammte heulende Lüge gutzuheißen.« Damit nahm er sie wieder bei der Hand. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich schon« log er.
    »Glaubst du wirklich, daß ... daß wir noch einmal von vorn beginnen könnten? Daß es besser würde als früher?« »Du wirst nicht mehr Jenny sein«, versprach er. »Nie wieder.« »Ich weiß nicht«, wiederholte sie leise flüsternd. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und hob es an, so daß sie ihm in die Augen sah. Dann küßte er sie ganz leicht, wobei sich ihre Lippen nur oberflächlich berührten. Kryne Lamiya stöhnte. In ihrer Nähe erklang tief und sorgenvoll das Nebelhorn, die abgelegeneren Türme kreischten schrill, und die einsame Pauke hielt ihren langweiligen, bedeutungslosen Rhythmus bei.
    Nach dem Kuß standen sie musikumtönt auf dem Balkon und sahen sich lange an. »Gwen«, sagte er schließlich mit weitaus unsicherer und schwächerer Stimme als zuvor, »ich

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