Die Flamme erlischt
an das sie sich klammert, zu glorifizieren. Seltsam und widersprüchlich, nicht wahr?«
»Weshalb wurde eine solche Stadt gebaut? Sie ist schön, aber ...« »Ich habe eine Theorie«, sagte Gwen. »Die Dunklinge sind in erster Linie Nihilisten mit schwarzem Humor. Ich glaube, Kryne Lamiya ist ihre verächtliche Antwort auf Hoch Kavalaan, Wolfheim, Tober und die anderen Welten, die das Fest des Randes mit allen Mitteln vorantrieben. Die Dunklinge kamen – und was bauten sie? Eine Stadt, die zum Ausdruck brachte, daß alles wertlos sei. Alles wertlos – das Festival, die Zivilisationen der Menschheit, das Leben selbst. Stell dir das vor! Welch eine Falle für all die hochnäsigen Touristen.« Sie warf den Kopf in den Nacken und begann unkontrolliert loszulachen, und in Dirk kroch plötzlich die irrationale Angst empor, seine Gwen könnte verrückt geworden sein. »Und hier wolltest du leben?« fragte er. Ihr Lachen verklang so rasch, wie es eingesetzt hatte, der Wind riß es ihr von den Lippen.
Rechts von ihnen produzierte ein Nadelturm einen kurzen, schneidenden Ton, der wie das Jaulen eines verletzten Tieres klang. Ihr eigener Turm antwortete mit dem tieftraurigen Klageton eines Nebelhorns, der nicht mehr enden wollte. Die Musik kam von allen Seiten. Aus der Ferne konnte Dirk die Schläge einer einzelnen Pauke hören – kurze, dumpfe, gleichmäßig erfolgende Schläge. »Ja«, sagte Gwen. »Hier wollte ich leben.« Das Nebelhorn verklang, jenseits des Kanals begannen vier rohrähnliche Türme, die von durchhängenden Brücken zusammengehalten wurden, ein unerträgliches Pfeifkonzert, das sich in immer höhere Tonlagen hinaufwand, bis es schließlich im nicht mehr vernehmbaren Bereich endete. Die Pauke dröhnte unverändert weiter: bumm, bumm, bumm. Dirk seufzte. »Ich kann das verstehen«, sagte er sehr müde. »Ich glaube, ich würde diese Stadt auch wählen, obwohl ich mich dann fragen müßte, wie lange ich noch zu leben hätte. Braque war auch so ähnlich, ein bißchen wenigstens, besonders bei Nacht. Vielleicht habe ich deswegen dort gelebt. Ich war sehr müde geworden, Gwen. Unheimlich müde. Ich glaube, ich hatte aufgegeben. In den alten Tagen war ich immer auf der Suche, weißt du. Auf der Suche nach Liebe, nach Geld und Glück, nach den Geheimnissen des Universums – ist ja auch egal. Aber nachdem du mich verlassen hattest ... ich weiß nicht, alles ging schief, gefiel mir plötzlich nicht mehr. Und wenn irgend etwas klappte, fand ich es langweilig, es bedeutete mir nichts mehr. Alles war leer. Ich versuchte tausend Dinge, hatte aber schnell von allem genug, wurde apathisch und zynisch. Möglicherweise kam ich deshalb hierher. Du ... ich war in besserer Verfassung, als ich noch mit dir zusammen war. Ich hatte noch nicht so viele Dinge aufgegeben. Ich stellte mir vor, wenn ich dich wiederfinden könnte, wäre es mir vielleicht möglich, auch zu mir zurückzufinden. So ganz ist die Rechnung nicht aufgegangen. Ich weiß nicht, ob sie wenigstens ein bißchen aufgeht.«
»Höre dir Lamiya-Bailis an«, sagte Gwen, »und ihre Musik wird dir sagen, daß nichts aufgeht, daß nichts einen Sinn hat. Ich wollte hier leben, weißt du. Ich stimmte ... nun, ursprünglich wollte ich nicht für oder gegen etwas stimmen, aber wir sprachen es bei der ersten Landung durch, und so kam es doch zur Abstimmung. Die Stadt jagte mir Angst ein. Wahrscheinlich haben wir beide noch viel gemeinsam, Dirk. Auch ich bin müde geworden. Meistens sieht man das nicht. Ich habe meine Arbeit, Arkin ist mein Freund, und Jaan liebt mich. Aber dann komme ich hierher ... oder manchmal lasse ich mich nur ein wenig gehen und denke zuviel nach, und dann stelle ich mir Fragen. Sie reichen nicht, die Dinge, die ich habe. So habe ich es nicht gewollt.« Sie wandte sich ihm zu und nahm seine Hand zwischen ihre beiden Hände. »Ja, ich habe an dich gedacht. Ich habe gedacht, daß es damals besser war, als wir auf Avalon zusammen waren, und ich habe daran gedacht, daß ich dich vielleicht noch immer liebe und nicht Jaan. Ich habe gedacht, daß du und ich vielleicht den Zauber wieder einfangen könnten und allem einen neuen Sinn zu geben in der Lage wären. Aber es ist nicht so – siehst du das nicht, Dirk? Und deine Vorstöße machen es auch nicht besser. Höre der Stadt zu, höre auf Kryne Lamiya. Dort liegt deine Wahrheit. Du denkst an mich und ich manchmal an dich, weil zwischen uns Scheu ist. Das ist der einzige Grund, warum es besser erscheint.
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