Die Flamme erlischt
sagen. Darin hieß es, daß Dunkeldämmerung eine Welt sei, deren Bewohner gefährlich nahe am Rande geistiger Gesundheit leben. Die Musik von Lamiya-Bailis, der größten Träumerin unter den Dunklingen, war es schließlich, welche die gesamte Kultur in Wahn und Verzweiflung stürzte. Als Strafe, so sagte man, wurde ihr Gehirn am Leben erhalten und tief unter den Bergen von Worlorn an die Windmaschinen angeschlossen, wo es immer und immer wieder sein eigenes Meisterwerk spielen muß.« Sie fröstelte. »Oder wenigstens so lange, bis die Atmosphäre gefriert. Diesen Vorgang können selbst die Wetterwächter von Dunkeldämmerung nicht aufhalten.«
»Die Musik ist...« Dirk fand keine Worte, so sehr war er in das schaurige Lied vertieft. »Sie trifft es genau«, sagte er nach einer Weile. »Worlorns Hymne!«
»Jetzt ist sie zur Musik des Planeten geworden«, sagte Gwen. »Das Lied handelt vom Zwielicht und der anbrechenden Nacht, nach der es kein Morgengrauen mehr gibt, niemals wieder. Ein Lied des Endes. Zur Glanzzeit des Planeten war das Lied fehl am Platze. Kryne Lamiya – so heißt diese Stadt, Kryne Lamiya, die man oft auch Sirenenstadt nannte, so wie Larteyn als Feuerfestung bezeichnet wurde. Nun, sie war bei den Touristen nicht sehr beliebt. Sie sieht sehr groß aus, ist aber bei genauerer Betrachtung viel kleiner. Sie wurde nur für hunderttausend Einwohner gebaut und beherbergte davon nie mehr als den vierten Teil. Wie Dunkeldämmerung selbst, nehme ich an. Wie viele Reisende machen schon einen Abstecher nach Dunkeldämmerung am Rande des Großen Schwarzen Meeres? Und wie viele davon kommen im Winter, wenn der Himmel jener Welt bar jeder Sterne ist und man nur das Licht einiger weit entfernter Galaxien wahrnimmt? Sehr wenige. Man muß schon ein Sonderling sein. Für Kryne Lamiya trifft dasselbe zu. Die Leute wurden durch das Lied beunruhigt. Es hörte nie auf. Die Dunklinge hielten es nicht für nötig, die Schlafzimmer schalldicht zu machen.« Dirk schwieg. Er starrte auf die schlanken Spiraltürmchen und lauschte ihrem Singsang.
»Willst du landen?« fragte Gwen.
Er nickte, und sie begann, die Maschine hinunterzudrücken. An einem der Türme fanden sie eine offene Landenische. Im Gegensatz zu den Schleusen in Challenge und Zwölfter Traum war diese nicht völlig leer. Zwei andere Luftwagen, ein kurzflügeliger, roter Sportgleiter und eine winzige, schwarzsilberne Träne, standen in der Nähe herum. Beide Fahrzeuge waren schon vor langer Zeit verlassen worden. Staub hatte sich auf den Karosserien und Windschutzscheiben angesammelt, und im Inneren des roten Sportgleiters war die Polsterung in Auflösung begriffen. Neugierig, wie er war, probierte Dirk beide Fahrzeuge aus. Der Sportgleiter gab keinen Ton von sich. Seine Aggregate brachten keine Leistung mehr, sie waren schon lange ausgebrannt. Aber die kleine Träne wurde unter seinem Griff warm, die Armaturen leuchteten auf und zeigten noch geringe Energiereserven an. Der riesige, graue Manta von Hoch Kavalaan war größer und schwerer als die beiden herrenlosen Wracks zusammen.
Sie verließen die Landeschleuse und kamen in einen langen Gang, in dem grauweiße Wandlichtbilder im Einklang mit der allgegenwärtigen Musik waberten und in Kaskaden zerplatzten. Dann betraten sie einen Balkon, den sie von draußen ausgemacht hatten. Im Freien war die Musik geradezu überwältigend. Sie rief sie mit unirdischen Stimmen, berührte sie und spielte anschwellend und lockend in ihrem Haar. Dirk nahm Gwen bei der Hand und starrte blind über Türme, Kuppeln und Kanäle hinweg auf den Wald und die Berge dahinter. Während er so verharrte, schien die Windmusik an ihm zu zerren. Sie sprach zu ihm mit einschmeichelnder Stimme, wollte ihn zum Hinabspringen animieren, wie es schien – um allem ein Ende zu setzen, dieser dummen, unwürdigen und in höchstem Maße lächerlichen Sinnlosigkeit, die er sein Leben nannte.
Gwen las in seinen Augen. Sie drückte seine Hand, und als er sie ansah, sagte sie: »Während des Festivals verübten mehr als zweihundert Menschen in Kryne Lamiya Selbstmord. Zehnmal mehr als in jeder anderen Stadt. Und das, obwohl diese Stadt die wenigsten Einwohner von allen hatte.«
Dirk nickte. »Ja. Man kann es spüren. Die Musik.« »Ein Grabgesang«, sagte Gwen. »Die Sirenenstadt selbst ist allerdings nicht tot wie Musquel oder der Zwölfte Traum. Starrköpfig lebt sie weiter, wenn auch nur, um Verzweiflung zu verbreiten und die Leere des Lebens,
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