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Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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glaube, ich weiß es auch nicht. Aber vielleicht ist es einen Versuch wert ...«
    »Vielleicht«, meinte sie, und ihre großen grünen Augen blickten wieder fort, senkten sich dem Boden zu. »Es würde sehr schwierig werden, Dirk. Jaan und Garse sind auch noch da, und eine ganze Menge Probleme. Wir wissen ja nicht, ob es sich überhaupt lohnt. Wir wissen nicht, ob es auch nur den kleinsten Unterschied macht.« »Nein, natürlich nicht«, sagte er. »In den letzten Jahren bin ich oft zu dem Entschluß gekommen, daß alles egal ist und ein neuer Versuch nicht mehr lohnt. Das machte mich aber auch nicht glücklicher, nur müde, endlos müde. Gwen, wenn wir es nicht versuchen, werden wir es nie wissen.«
    Sie nickte. »Mag sein«, war ihr einziger Kommentar. Der Wind blies kalt und heftig, die dem Wahn der Dunklinge entsprungene Musik wurde abwechselnd lauter und leiser. Sie gingen hinein, die Treppen hinunter, vorbei an den fahl flackernden Lichtwänden auf den einzigen Fels in der Brandung des Irrsinns zu: ihren Gleiter, der darauf wartete, sie nach Larteyn zu tragen.

5
     
     
    Sie ließen die weißen Türme Kryne Lamiyas hinter sich zurück und hielten auf die verglimmenden Feuer von Larteyn zu. Während des Fluges sprachen sie kaum, berührten sich nicht und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Gwen parkte den Gleiter auf seinem Stammplatz, und Dirk folgte hinab bis zu ihrer Tür. Als er von ihr erwartete, sie würde ihm eine gute Nacht wünschen, flüsterte sie ihm schnell ein »Warte!« zu. Dann huschte sie hinein, und er wartete verstört. Aus ihrem Zimmer drangen Geräusche – Stimmen –, dann war Gwen auch schon zurück. Sie drückte ihm ein dickes Manuskript in die Hand, einen eindrucksvollen Stapel Papier, von Hand in schwarzes Leder gebunden. Jaans Thesen. Er hatte sie schon fast vergessen. »Lies es«, flüsterte sie, den Kopf durch den Türspalt steckend. »Komm morgen herauf, dann werden wir uns noch ein wenig unterhalten.« Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Wange und drückte die schwere Tür mit einem leisen Klicken ins Schloß. Einen Augenblick lang stand Dirk verdutzt da und wog das gebundene Manuskript in der Hand, dann ging er zu den Aufzügen hinüber.
    Er war noch keine drei Schritte gegangen, als er den ersten Schrei hörte. Irgendwie brachte er es nicht fertig weiterzugehen. Die Geräusche zogen ihn wie magisch an.
    Lauschend blieb er vor Gwens Tür stehen. Die Wände waren dick, und nur sehr wenig drang durch. Einzelne Wörter oder Sätze konnte er nicht ausmachen, aber der Tonfall der Stimmen sagte ihm genug. Gwens Stimme dominierte: laut, schrill – manchmal schrie sie sogar –, beinahe hysterisch. Vor seinem inneren Auge sah Dirk Gwen vor den Wasserspeiern im Wohnraum auf und ab gehen, so wie sie es immer tat, wenn sie erregt war. Beide Kavalaren würden anwesend sein – Dirk war sicher, zwei andere Stimmen zu hören – und sie bedrängen. Die eine Stimme war ruhig und sicher, ohne wütende Zwischentöne, aber unnachgiebig fragend. Sie mußte Jaan Vikary gehören. Sein Stimmfall verriet ihn, sein Sprechrhythmus war selbst durch die Wand hindurch zu erkennen. Die dritte Stimme, Garse Janacek, hörte Dirk zunächst nur selten. Dann aber sprach sie häufiger, wurde immer lauter und wütender. Nach einiger Zeit war von der beherrschten Stimme überhaupt nichts mehr zu hören, während Gwen und Garse einander anbrüllten. Nach einiger Zeit riß Jaan Vikary wieder das Wort an sich, stieß einen scharfen Befehl hervor. Und Dirk hörte ein Geräusch, ein dumpfes Klatschen. Einen Schlag. Jemand hatte zugeschlagen, es konnte nichts anderes sein. Schließlich gab Vikary einen weiteren Befehl, dann folgte Stille. Drinnen ging das Licht aus. Dirk stand mucksmäuschenstill, hielt Vikarys Manuskript und fragte sich, was er tun konnte. Wie es schien, blieb ihm nichts anderes übrig, als schlafen zu gehen. Er konnte Gwen höchstens am nächsten Morgen fragen, was geschehen war, wer sie geschlagen hatte und warum. Es muß Janacek gewesen sein, dachte er.
    Er entschloß sich, die Aufzüge zu ignorieren und zu Fuß in Ruarks Appartement hinunterzugehen.
    Im Bett merkte Dirk schlagartig, daß er unsäglich müde und von den Ereignissen des Tages gehörig mitgenommen war. Soviel auf einmal konnte er beim besten Willen nicht verdauen. Die Kavalarjäger und ihre Spottmenschen, das schmachvolle Leben, das Gwen mit Vikary und Janacek führte,die schwindelerregende Möglichkeit ihrer Rückkehr. Trotzdem konnte

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