Die Fliege Und Die Ewigkeit
gekommen, immer noch auffallend und an einzelnen Punkten zwar schick, an anderen, und deren Zahl überwiegt, aber umso ramponierter. Sie bewegt sich ziemlich unbeholfen, macht außerdem ziemlich viel Lärm, und eines schönen Tages wird es wohl passieren, dass sie ein für alle Mal stehen bleibt. Wer weiß?
Er drückt seine Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus. Schließt die Augen, um nicht abgelenkt zu werden. Lehnt den Kopf gegen die Nackenstütze, die es nicht gibt, und konzentriert sich. Zuerst aufs Schachspiel, dann auf das andere. Das Schweigen.
»Dann spielen wir also heute Abend bei Freddy’s eine Partie?«
Maertens schaut auf. Bernard hat seine Brille abgenommen, er sitzt da und reibt sie mit seinem Schal sauber. Die Scheiben sind immer noch vereist. Der Morgenverkehr dort draußen dröhnt dicht und herausfordernd. Maertens nickt. Freitagabend ... Freddy’s, natürlich. Was sonst? Welche anderen Wege würden überhaupt offen stehen? Welche?
Birthe natürlich, aber der Samstag ist ja schon ausgemacht.
Schreiben?
An der Ampel auf der Hohenzoller Allé kommt die Frage nach der Arbeit. Immer genau in der Sekunde, bevor sie auf Grün umspringt, es ist ein verdammtes Rätsel, wie er das wissen kann ... »Der Job, Maertens! Wie ist die Woche gewesen? Hamsterrad oder Mühlstein? Hat sie das Wohlbefinden und den Wohlstand befördert? Antworte mir, Maertens, was ist mit dir an diesem schönen Morgen nur los?«
Mühlstein? Nein, er hat nichts anzumerken. Sein Los ist nicht schlechter als das anderer. Insbesondere nicht mehr, seitdem die Aufmerksamkeit auf das staatliche Kulturhaus verlagert wurde, das in ihrer Stadt wie in so vielen anderen errichtet wurde. In Maertens’ und Bernards Stadt. Er denkt eine Weile darüber nach. Fragt sich, warum. Kein Mensch scheint sagen zu können, wozu so ein Gebäude eigentlich gut sein soll. Aber vielleicht haben seine Väter und Erbauer einfach nur etwas zu Stande bringen wollen, vielleicht verhält es sich so. Eine Art Andenken, ein Monument für sich selbst und die Zeit, in der man lebt. Vielleicht.
»So ist es mit Denkmälern, so kommen sie zu Stande«, hat Bernard einmal festgestellt, an einem anderen Morgen, als Maertens sich in den für heute erledigten Überlegungen zu verlieren schien. »Wer bist du, dass du meinst, klagen zu dürfen«, will Bernard heute wissen. »Kipp nicht das Kind und noch so einiges mit dem Bade aus. Eine neue Bibliothek und rückenfreundliche Stühle, was willst du mehr?«
»Ich kann nicht klagen.«
»Das ist gut, mein Freund, ich will ja nichts Unmögliches von dir verlangen. Gut, schon gut.«
Die Tomasbrücke ist wieder verstopft. Wie üblich.
Maertens reibt mit dem Mantelärmel ein Guckloch auf der Scheibe frei. Er betrachtet den Fluss und die Schiffe, die für den Winter verankert am Kai liegen, ein einsamer Schlepper steuert durch den Nebel, die Sonne steht niedrig und wirft keinen einzigen Lichtstreifen übers Wasser. Dunkel und wie aus einem Guss sieht es aus. Die Enten und ein hübsches, kaum voneinander unterscheidbares Schwanenpaar liegen noch in verfrorenem Nachtschlaf auf Karlsöns Strand. Bernard spricht jetzt von Majakowski, von der Hyperbel als Stil- und Wirkungsmittel, und von einer Frau, die er schon lange kennt. Frida. Frida Arschel. Seine Worte werden von einem Nachrichtensprecher und einer Straßenbahn, die vorbeischeppert, übertönt. Was wird aus all deinen Worten, Bernard? Wohin gehen sie?
Erneut widmet er einige Gedanken dem Telefongespräch, aber es ist schwer, sich in dieser Morgenkakophonie den Begriff Schweigen vorzustellen. Und ganz besonders so ein Schweigen.
Er wird am Zeitungskiosk am Markt herausgelassen. Als er vier Schritte gegangen ist, ruft Bernard durch das heruntergekurbelte Seitenfenster:
»Vergiss nicht, Fräulein Kemp von mir zu grüßen!«
Darauf pfeift er La donna è mobile, peitscht den Motor hoch und fährt weiter. Seit geraumer Zeit ist Bernard in Maertens Chefin, Marie-Louise Kemp, verliebt. Das ist eine Eigentümlichkeit, die sie bereits verschiedene Male diskutiert haben. Maertens hat auch schon beim Werben Beistand geleistet. Aber das Ergebnis ist bis heute ziemlich dürftig, kaum der Rede wert. Fräulein Kemp ist keine Frau, der man sich ohne weiteres nähert, ganz und gar nicht. Überhaupt ist das Ganze eine düstere Geschichte, und das Einzige, was Bernard als Begründung anführt, ist sein Alter.
»Wenn man die Fünfzig überschritten
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