Die Flirtfalle
neunzehn Euro fünfzig erwerben!“, beharrte ich und lachte, um zu zeigen, dass ich nicht von gestern war. Die Verkäuferin verriet mir dann, dass solche Kleider meistens aus der Garderobe von vermögenden Damen stammen, die verstorben sind. Ich schluckte und begann mir einzureden, dass nichts dabei wäre, wenn ich auf Muttis Hochzeit ein Kleid aus der Garderobe einer verstorbenen Lady trage, schließlich war ich auch schon so gut wie tot. Ohne zu essen und zu trinken würde ich mich noch ein paar Tage über Wasser halten können, aber das wäre es dann auch schon gewesen.
„Sagen Sie, sind die Kindersachen hier auch alle aus der Garderobe verstorbener Kinder?“, brachte ich schwach hervor und dachte an Justins Regenhose und diverse andere Kinderkleidung, die ich hier erworben hatte. Die nette Frau antwortete, die Kinder würden so schnell aus ihren Sachen herauswachsen, dass viele Frauen jeden Monat einen Haufen Klamotten aussortieren müssen, aber irgendwie glaubte ich ihr das nicht und verließ den Secondhand-Laden mit gemischten Gefühlen und einem Knoten im Magen.
Ich ging dann in ein feines Geschäft für Kindermode, in dem ich einen roten Anzug in Justins Größe fand und erwarb. Die dazu passende Fliege kostete so viel wie einmal Spitzen schneiden beim Friseur. Ich kaufte sie dennoch, da ich mir in den nächsten Monaten die Friseurkosten sparen würde. Bei meinen kurzen Haaren würde mich ein Spitzenschneiden in den Bereich der Beinahe-Glatze zurückwerfen. Weitere Argumente, die dafür sprachen, die 130 Euro für Justins Klamotten auszugeben:
1. Das Arbeitslosengeld für den nächsten Monat war schon auf meinem Konto.
2. Ich wollte Justin und Mutter eine Freude machen.
3. Der Preis war mir eigentlich egal, denn angesichts der Tatsache, dass meine Tage gezählt waren, erschienen mir Gedanken an das Geldausgeben einfach lächerlich. Schließlich dachte man beim Ertrinken im offenen Meer auch nicht darüber nach, ob die Miete für den nächsten Monat aufzubringen war.
Ich brachte die Einkäufe nach Hause und da ich Hunger hatte, aber nichts essen konnte, machte ich mir einen Milchshake, den ich leider gleich wieder ausschütten musste, weil er so furchtbar nach Kuheutern stank. Ich gab dann die Versuche auf, mich zum Essen oder Trinken zu bewegen und fuhr zum Kindergarten, Justin abholen.
„Schatz, ich habe eine Überraschung für dich. Wir gehen heute Mittag schön essen und du darfst das Lokal aussuchen. Was ist dir lieber? Die italienische, die mexikanische, die griechische oder die chinesische Küche?“ Keine davon. Wenig später saßen wir bei Mc Donald’s.
„Mama, müssen alle Omis auf der ganzen Welt heiraten?“, fragte Justin, während er nach dem Spielzeugauto in seiner Juniortüte kramte.
„Nein. Nur die, die keinen Mann haben und nicht allein leben wollen.“
„Wirst du auch irgendwann heiraten?“
„Nein, Schatz. Mama war schon mit deinem Vater verheiratet. Einmal reicht doch.“
„Mama, wie sieht mein Vater aus?“
Gott im Himmel! Ich wusste, dass Justin mir irgendwann diese Frage stellen würde, aber warum musste es ausgerechnet hier in aller Öffentlichkeit und an einem Tag sein, an dem ich mich in einem seelischen Tief befand und weder essen noch trinken, Gucci-Kleider anprobieren oder Fragen über die äußere Erscheinung meines Exmannes beantworten konnte.
„Mama, wie sieht mein Vater aus?“, wiederholte Justin seine Frage, diesmal etwas nachdrücklicher. Am Nachbartisch saß eine glückliche Bilderbuch-Familie (Mutter, Vater, Tochter mit Zahnspange und Sohn mit Lutscher im Mund), die mich neugierig anstarrte und gemeinsam mit Justin auf meine Antwort wartete. Ich kam mir vor wie eine Frau, die auf den Strich gegangen war und den Vater ihres Kindes weder kannte, noch ausfindig machen konnte.
Ich wollte nach Hause.
Kapitel 27
Der große Tag
I ch saß in der ersten Reihe einer Kirche. Das Brautpaar stand mit dem Rücken zu mir und gab sich das Jawort. Als sich die Glücklichen so drehten, dass ich ihre Gesichter im Blick hatte, gefror mir das Herz vor Entsetzen: Es waren Lisa und Mark! Ich wachte schweißgebadet und völlig erschöpft aus diesem Albtraum auf. Eine schreckliche Nacht lag hinter mir.
Spätestens u m zehn Uhr zwanzig musste ich mit Justin beim Standesamt sein, denn um halb elf wollten Mutti und Viktor den heiligen Bund der Ehe eingehen. Aus Platzgründen waren hierzu nur die beiderseitig engsten Angehörigen eingeladen, zu
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