Die Flotte von Charis - 4
Cayleb«, flüsterte sie ihm ins Ohr, musste dann aber doch deutlich lauter sprechen, als der Jubel der Seeleute an Bord der Kaiserin von Charis aufbrandete, weil sie an Deck gekommen waren.
»Unsinn. Ich habe sie nach dem Amt benannt, nicht nach der Person, die dieses Amt bekleidet!«, erwiderte ihr Mann mit einem verschmitzten Grinsen und zuckte dann zusammen, als sie ihm kräftig zwischen die Rippen kniff. Er blickte auf sie herab, und sie schenkte ihm ein liebliches Lächeln.
»Wenn Ihr nach Hause kommt, erwarten Euch noch viel fürchterlichere Dinge, Euer Majestät«, versprach sie ihm.
»Gut.«
Sein Grinsen wurde noch breiter, doch es verschwand sofort wieder, als sie die Einstiegsluke erreichte, vor der bereits der Stuhl des Bootsmanns bereitgestellt war, um Sharleyan auf das Deck des Fünfzig-Fuß-Kutters herabzulassen, der längsseits zum Flaggschiff festgemacht war. Auch der Kutter fuhr unter der neuen imperialen Flagge, und der goldene Krake des Hauses Ahrmahk schien in der steifen Brise geradezu darüber hinweg zu schwimmen. Fast die gleiche Flagge wehte auch am Besanmast eines jeden Kriegsschiffes in diesem Ankerplatz, doch auf der Flagge, die Sharleyans Kutter zierte, glitzerte oberhalb des Kraken die silberne Krone der Kaiserin, während auf der Flagge, die hoch über der Kaiserin von Charis im Wind flatterte, die goldene Krone des Kaisers zu erkennen war.
Seite an Seite standen sie dort und schauten gemeinsam zu dem Kutter hinab, dann holte Cayleb tief Luft und richtete den Blick wieder auf Sharleyan.
»Meine Kaiserin«, sagte er so leise, das sie ihn kaum verstehen konnte, so sehr toste der Jubel nun auch an Bord des Kutters und breitete sich von dort aus auf jedes andere Schiff im Hafen aus. Sharleyan konnte sehen, dass auf allen Schiffen die Seeleute vor den Masten Aufstellung genommen hatten, während die Marines entlang der Reling standen, und erst jetzt begriff sie, dass die Seeleute nicht für Cayleb jubelten. Oder nicht nur für Cayleb. Ihr Jubel galt auch ihrer Kaiserin.
Mithilfe verschiedener Taue ließen die Männer an den Taljen den Stuhl des Bootsmannes für Sharleyan auf das Deck hinab, und es gelang ihr, sich so weit zu beherrschen, dass sie nicht gequält das Gesicht verzog. Die Vorstellung, jetzt über die Bordwand des Schiffes gehoben und dann zum Kutter hinabgelassen zu werden wie ein Paket, erschien ihr nicht gerade würdevoll, doch es war zweifellos immer noch besser, als sich um ihre Röcke sorgen zu müssen, während sie an den Segellatten hinabkletterte, die an die Außenwand des Schiffes genagelt waren. Es war gewiss sittsamer, und es bestand viel weniger Gefahr, dass sie plötzlich versehentlich ein unziemliches Bad nähme. Und außerdem war es ja auch nicht so, als ob …
Abrupt wurde der Gedanke unterbrochen, als Cayleb plötzlich die Arme um sie schlag. Erstaunt riss Sharleyan die Augen auf, doch das war auch alles, was sie noch tun konnte, bevor sie geküsst wurde − skrupellos, schwungvoll und herrlich gekonnt. Geküsst vor den Augen der gesamten Flotte.
Einen Herzschlag lang ließ die Überraschung sie erstarren, sodass sie nur reglos in seinen Armen lag. Doch nur einen einzigen Herzschlag lang. Natürlich war das ein offenkundiger, skandalöser Bruch mit jeglichem Protokoll und auch mit sämtlichen Regeln des Anstands − und es war ihr völlig egal.
Für einen Moment schienen alle anderen ebenso verblüfft ob dieser abrupten Abkehr von dem eigens für diesen Anlass vorbereiteten, sorgsam einstudierten Ablauf, doch dann brandete erneut Jubel auf − doch dieses Mal klang er anders. Zwischen den Jubelrufen war immer wieder Lachen zu hören, Applaus und ermutigende Pfiffe. Später würde sich Sharleyan immer wieder an diesen Moment erinnern und diese Freude genießen − diese Freude, die das ganze Volk von Charis für Cayleb und sie verspürt hatte, und es war wirklich echte, alles durchdringende Freude in all diesem Jubel zu bemerken, in dem Pfeifen, in dem Applaus. Doch während des eigentlichen Augenblicks bemerkte Sharleyan es kaum. Sie war gänzlich mit anderen Dingen beschäftigt.
Es war ein langer, leidenschaftlicher und sehr gründlicher Kuss. Bei allem, was Cayleb anfing, ging er sehr überlegt und methodisch vor, und so nahm er sich die Zeit, auch das hier wirklich richtig zu tun. Schließlich jedoch − zweifellos, weil ihm die Luft ausging − richtete er sich erneut auf, lächelte seine Frau an, während rings um ihn immer noch Pfiffe ertönten
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