Die Flotte von Charis - 4
Schiff war nach der Schlacht im Darcos-Sund in den Wellen versunken, und ursprünglich hatte dieses Schiff hier den gleichen Namen tragen sollen. Doch Cayleb hatte eine Änderung beschlossen. Die charisianische Tradition verbot es, ein Kriegsschiff nach einer noch lebenden Person zu benennen, und so hatte man das Schiff, statt ihm den Namen zu geben, den Cayleb eigentlich vorgezogen hätte, ›Kaiserin von Charis‹ getauft.
Als Sharleyan nun auf das Oberdeck des Schiffes hinaustrat, das nicht ganz offiziell ihren Namen trug, erstaunte sie erneut, wie sehr sich die Standards der Schiffskonstruktion und auch der Art und Weise, wie Seeschlachten ausgetragen wurden, innerhalb von nur drei Jahren geändert hatten. Charisianische Galeeren waren die größten und hochseetüchtigsten Schiffe der Welt gewesen. Das bedeutete, dass sie zugleich, solange sie nur gerudert wurden, auch die langsamsten Schiffe der Welt gewesen waren, doch selbst noch die größte von diesen Galeeren hatte nicht einmal zwei Drittel der Ausmaße besessen, die sie nun hier an Bord der Kaiserin von Charis vorfand. Caylebs neues Flaggschiff maß mehr als einhundertfünfzig Fuß Gesamtschiffslänge, und mit ihrem ungleich größeren Tiefgang verdrängte sie fast vierzehnhundert Tonnen. Auf dem Batteriedeck waren dreißig lange Kraken aufgebaut, auf dem Oberdeck weitere zweiunddreißig Karronaden. Zusammen mit den neuen, langen Vierzehnpfündern, die als Bugund Heckgeschütze dienten, bestand ihre Bewaffnung damit aus insgesamt achtundsechzig Geschützen, und kein Kriegsschiff auf der ganzen Welt konnte darauf hoffen, es mit ihr aufnehmen zu können. Außer natürlich ihrer Schwesternschiffe, die rings um sie vor Anker lagen.
Sharleyan erschien das Schiff regelrecht gewaltig. Und das war es auch. Das größte Schiff der Chisholmian Navy verdrängte kaum mehr als halb so viel Wasser, und es war nur mit achtzehn Geschützen ausgestattet. Doch den Gesprächen mit ihrem Mann, mit Lock Island und Sir Dustyn Olyvyr hatte die Kaiserin entnommen, dass Sir Dustyn schon jetzt sämtliche Lektionen, die er aus der Konstruktion der Kaiserin von Charis gelernt hatte, dazu nutzte, eine noch größere und noch leistungsfähigere Schiffsklasse bauen zu lassen.
Das Schiff sah nicht einmal mehr wie eine Galeone aus. Schon bei der Dreadnought und ihren Schwesternschiffen hatte man auf die hoch aufragenden Vorderund Achterkastelle verzichtet, doch die Kaiserin von Charis hatte relativ zu ihren Vorgängern eine noch geringere Freibordhöhe; ihr Deck war fast durchgängig glatt, ohne jegliche Aufbauten. Vielmehr waren die schmalen Oberdecks, die bei der Dreadnought die einzigen Aufbauten dargestellt hatten, so weit verbreitert, dass sie ein fast vollständiges oberes Batteriedeck darstellten, und so reichte ihre leicht geschwungene Bordwand durchgängig vom Bug bis zum Heckwerk. Aufgrund ihrer größeren Ausmaße lagen die Schwellen ihrer Geschützpforten höher als bei den älteren Schiffen, und alleine schon vom Anblick der hoch aufragenden Masten und Segel wurde Sharleyan beinahe schwindelig. Doch der Bug war steil angeschrägt, und trotz ihrer enormen Ausmaße wirkten die Kaiserin von Charis und ihre Schwesternschiffe flach, schlank und gefährlich. Jede einzelne Linie dieser Schiffe verriet eine schnittige Anmut, wie bei einem Raubtier − und die neue Imperial Navy bewahrte eine weitere charisianische Tradition. Andere Flotten mochten ihre Kriegsschiffe ja in bunten Farben streichen; die Rümpfe charisianischer Kriegsschiffe waren schwarz. Entlang der Seitenwände wiesen die Galeonen weiße Streifen auf, die ihre Geschützpforten markierten, und die Klappen vor den Geschützen selbst waren leuchtend rot gestrichen. Doch abgesehen von den Galeonsfiguren war das praktisch die einzige Farbe, die man an den Schiffsrümpfen verwendet hatte − ein deutlicher Kontrast zu den zierenden Schnitzereien, der Vergoldung und den bunten Farben anderer Flotten.
Das war, wie Sharleyan begriffen hatte, eine bewusste, deutliche Aussage. Charisianische Kriegsschiffe brauchten keine Zier, keine stolzen Schnitzereien und keine Vergoldung, um den Gegner zu beeindrucken. Dafür reichte der Ruf, in denen sie standen, voll und ganz aus, und dass sie auf all jenen Zierrat gänzlich verzichteten, verlieh den Schiffen eine ernsthafte, nüchterne Schönheit. Sie zeigten die Anmut der Funktionalität, ohne jegliches unnötiges Element.
»Du hast ein wunderschönes Schiff nach mir benannt,
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