Die Flotte von Charis - 4
ihre Planken dünner, als jeder Schiffskonstrukteur einer Kriegsflotte das verlangt hätte. Zumindest in einer Hinsicht gereichte ihr das zum Vorteil. Da die Planken so viel dünner waren, ließen die gewaltigen Kanonenkugeln der Blade ungleich weniger und deutlich leichtere Splitter durch die Luft sausen, als das bei einem inständigen Kriegsschiff der Fall gewesen wäre. Andererseits war der Rumpf dieses Schiffes mit Soldaten und Matrosen regelrecht überfüllt, und die leichtere Bauweise dieser Galeone bedeutete auch, dass sie ungleich weniger robust war als ein Kriegsschiff.
Immer schlimmer dröhnte Maigee das Kreischen und Schreien seiner Verwundeten in den Ohren. Eine seiner Kanonen wurde unmittelbar getroffen, und der wuchtige Holzklotz, der ihr als radlose Lafette diente, barst in tausend Stücke, während weitere schwere Geschosse der Charisianer blutige Schneisen in die Schiffsbesatzung rissen. Die Guardian war der Blade, was die Anzahl ihrer Geschütze betraf, in einem Verhältnis von mehr als drei zu eins überlegen, und die Dohlaraner hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Doch die Kanonen der Blade feuerten ungleich schwerere Geschosse ab, und sie feuerten auch viel, viel schneller.
»Nachladen! Nachladen, verdammt noch mal!«, hörte er Synklyr irgendwo vor sich brüllen, auch wenn er ihn im dichten Pulverdampf nicht sehen konnte. Rau und verzerrt übertönte die Stimme des First Lieutenant die Schreie der Verwundeten. Immer wieder blitzte das Mündungsfeuer der Musketen auf, die Soldaten luden nach, so schnell sie konnten, doch der Schoner war viel zu weit entfernt, um gezielte Schüsse abgeben zu können. »Macht sie fertig − macht diese Mistkerle fertig!«, brüllte Raynair, während der Bootsmann einen Trupp Matrosen mit Äxten und Beilen herbeieilen ließ, um die Trümmer des geborstenen Masts zu beseitigen.
Wie auf den meisten Freibeuterschiffen, befand sich auch an Bord der Blade eine deutlich größere Mannschaft, als das eigentlich erforderlich gewesen wäre − sei es, um das Schiff zu steuern, sei es, um zu kämpfen. Irgendwoher musste ja schließlich auch die Besatzung für die Prisen kommen. Doch diese todbringende Überraschung der Dohlaraner musste mindestens dreißig von Raynairs Männern das Leben gekostet oder sie zumindest schwer verwundet haben. Wenn man dann noch Nethaul und die Männer an Bord des versunkenen Kutters mitzählt, kommt man eher auf sechzig, als auf fünfzig, informierte eine innere Stimme ihn schonungslos. Das war mindestens ein Drittel seiner gesamten Besatzung.
Doch es gab einen Grund, warum er während der gesamten langen Überfahrt von Charis hierher stets unablässiges Geschützexerzieren gefordert hatte. Seine Geschützbedienungsmannschaften an der Backbordseite hatten schwere Verluste hinnehmen müssen, doch ihre Ersatzleute von Steuerbord kamen bereits herübergestürmt und nahmen die Plätze ihrer toten oder verletzten Kameraden ein. Hätte die Blade frei manövrieren können, hätte die gesamte Lage deutlich anders ausgesehen. Bedauerlicherweise bedeutete der geborstene Fockmast, dass selbst diese schwerfällige dohlaranische Galeone es nun im Hinblick auf Manövrierbarkeit mit ihr aufnehmen konnte.
Nein, jetzt gab es nur noch eines, was Ekohls Raynair tun konnte, und er fletschte die Zähne, als die zweite Breitseite der Blade dröhnte.
.II.
Königlicher Palast, Tellesberg, Königreich Charis
»Wird das Ihren Anforderungen genügen, Doktor?«
Rahzhyr Mahklyn wandte sich vom Fenster ab und blickte Pater Clyfyrd Laimhyn an, König Caylebs Privatsekretär und Beichtvater. Im Laufe der Jahre hatte Mahklyn es mit vielen Priestern zu tun gehabt, die nicht gerade … begeistert darüber gewesen waren, mit welchen Dingen sich die Königliche Hochschule befasste. Pater Clyfyrd hingegen schien erfreulicherweise keinerlei Vorbehalte zu kennen. Vielleicht war das auch nicht sonderlich erstaunlich, schließlich hatte Erzbischof Maikel persönlich ihn seiner Majestät dem König für ›heikle Aufgaben‹ empfohlen. Nun stand Laimhyn aufmerksam dort und wartete ab, bis Mahklyn über diese Frage nachgedacht hatte.
Nicht, dass es hier wirklich viel ›nachzudenken‹ gibt, ging es Mahklyn durch den Kopf, und blickte erneut aus dem Fenster des Turmes. Der Turm von König Cayleb − der Urgroßvater des derzeitigen Monarchen hatte ihn seinerzeit errichten lassen − befand sich auf der Seite des Palastes, die vom Hafen am weitesten abgelegen war.
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