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Die Flüchtlinge des roten Mondes

Die Flüchtlinge des roten Mondes

Titel: Die Flüchtlinge des roten Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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verschwundene Erde. Ein Bild aus dem alten Ägypten. Die Toten warten in der Halle der Gerechtigkeit. Warten darauf, von alten Göttern mit Tierköpfen abgeurteilt zu werden. Dort stand die große Waage, wo alle Sünden des menschlichen Herzens gegen die leichteste Feder vom Flügel der Wahrheit aufgewogen wurden, und jene, die nicht bestanden, wurden den wartenden Fängen der Krokodile vorgeworfen …
    Wartete irgendwo in der Riesenhalle der Fresser der Toten? Irgendwo da oben, unter den Reihen um Reihen von bleichen, wurmbleichen Gestalten mit großen Reptilienfängen … Hunderten, Tausenden …? Sie befanden sich in einem riesigen Amphitheater, dessen Größe einfach unermeßlich war; Dane hatte das Gefühl, daß die Kathedrale von Notre-Dame hier Platz gehabt hätte. Wartete hier die gesamte unterirdische Rasse, um sie abzuurteilen? Oder, was noch erschreckender war, handelte es sich bei all diesen Wesen lediglich um ein ausgesuchtes Richtergremium? Sie überquerten den Platz, den man für sie freigelassen hatte, bewegten sich in dem Dämmerlicht, das ihnen immer noch folgte, stiegen auf ein Podest und warteten. Saurier blinzelten sie mit rosa Augen an. Aratak murmelte: „Für sie ist das Licht hier sehr hell.“
    Überall um sie herum rührte und regte es sich angespannt. Der schwere Reptiliengeruch machte Dane nervös; er griff zum Schwertknauf, zwang sich aber dann, sich zu entkrampfen. Das hatte hier keinen Zweck.
    Rhomda betrat den schwachen Lichtkreis.
    Spontan lächelte ihm Dane zu. Gott sei Dank, der Speermeister lebte! Doch dann versteifte er sich skeptisch:
    Nein! Man kann mit durchschnittenen Kniesehnen in beiden Beinen nicht mehr gehen! Selbst wenn ich mich geirrt habe und die Sehnen nur angerissen habe, dauert es Monate … Jahre …
    Er bewegte die Finger innerhalb der Röhre mit Flüssigkeit. Kein Schmerz. Seit Tagen zum ersten Mal kein Schmerz. Nervenregenerierung! Das war unmöglich …
    Aber Rhomda konnte wieder gehen. Das war eine Tatsache. Rhomda lächelte sie ermutigend an, und Dane fühlte trotz allem, was um sie herum geschah, eine Welle von Freude für Rhomda und sich. Er würde kein Krüppel bleiben … und seine Hand würde ebenfalls wieder in Ordnung kommen!
    Die Inkarnation der Rasse bildet sich ein Urteil.
    Ein lautes Atemzischen und ein kurzes Geräusch von Bewegungen drangen aus der Dunkelheit um sie herum und verebbten wieder. Einen Moment schien es, als würde nichts passieren, doch dann spürte Dane ein merkwürdiges Gefühl in seinem Innern: als würde er inmitten eines riesigen Orchesters stehen, und der Dirigent erhöbe seinen Taktstock, als ob sich aus dieser Dunkelheit Tausende bereiter geübter Hände zum Bau eines gewaltigen Gebäudes zusammenschlossen und mühelos Stein auf Stein setzten.
    Seine Ohren erwarteten Musik, die Augen ein unglaubliches Stück Architektur, und trotz der Stille und Dunkelheit wußte er, daß sich um sie herum irgend etwas formte. Die Symphonie wurde gespielt; er war taub, konnte aber die Harmonien mit jeder Zelle seines Körpers spüren. Nein, keine Symphonie, ein komplexes Chorwerk, in dem jede Stimme einen eigenen Part hatte, in dem auch er – fast – eine Stimme hatte …
    Seine Ohren vernahmen nur Stille, die Augen sahen nur Dunkelheit. Und doch spürte er in der Nähe seine Kameraden: Arataks Ruhe und Verwunderung; Joda, zerrissen zwischen kindlicher Furcht und dem plötzlichen, erstaunten Akzeptieren eines Erwachsenen; Rhomda, besorgt, aber friedlich. Und Rianna, die ihn wie ein kräftiges Feuer wärmte.
    Eingebettet in diese vertrauten Harmonien klangen andere Töne: Weitsprecher, verwirrt, aber immer noch feindselig; Dravash und der Prrzetz, dessen Name, wie ihm jetzt einfiel, er gar nicht wußte; diese beiden waren sich sonderbar ähnlich, trotz des scharfen Gegensatzes zwischen protofeliner Spannung und saurischer Tiefsinnigkeit. Beides Anführertypen, an Autorität gewöhnt, fähig, Entscheidungen zu tragen, von denen das Leben Hunderter abhing. Irgend etwas in Dane übersetzte erstaunt in der alten Weise: Hier liegt die Verantwortung. Er spürte es sowohl in der weiblichen Katze als auch in dem Sauriermännchen. Dane fühlte sich plötzlich klein. Ich kann das auch, aber nur für mich. Es verletzt mich zu sehr, unrecht zu haben. Sie können das Wissen akzeptieren und damit leben, daß sie früher oder später eine falsche Entscheidung treffen, die Leben kosten kann … werde ich jemals so groß werden? Wie sagt man doch: Beurteile

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