Die Fluesse von London - Roman
ging an William Skirmish vorbei und verschwand unter der Kamera. Im Bericht wurde diese Person als »Zeuge A« bezeichnet.
Eine dritte Person erschien, die sich von der Kamera entfernte. Ich drückte auf Pause.
»Sieht nicht wie derselbe Bursche aus«, kommentierte Lesley.
Definitiv nicht. Dieser Mann trug nämlich eine ArtSchlumpfmütze und ein edwardianisches Smokingjackett. Fragen Sie mich bitte nicht, woher ich weiß, wie ein Smokingjackett aus der Zeit König Edwards aussieht – sagen wir einfach, dass es etwas mit Doctor Who aus der T V-Serie zu tun hat, und belassen wir es dabei. Nicholas hatte behauptet, das Jackett sei rot gewesen, aber der Film war nur schwarz-weiß. Ich ließ den Film ein paar Bilder zurück- und dann wieder vorlaufen. Die erste Gestalt, Zeuge A, verschwand in Bild 1, zwei Bilder später erschien der Mann mit der Schlumpfmütze.
»Macht zwei Sekunden, um sich umzuziehen«, bemerkte Lesley. »Menschenunmöglich.«
Ich klickte wieder auf Vorwärts. Schlumpfmütze hielt plötzlich so etwas wie einen Baseballschläger in der Hand und trat geschmeidig von hinten an William Skirmish heran. Dann kam die Aufzeichnungspause bis zum nächsten Bild, aber der Schlag war klar zu sehen. Das folgende Bild zeigte Skirmish mitten im Sturz – und einen kleinen dunklen Fleck, den wir für seinen Kopf hielten, vor dem Portikus der Kirche.
»Mein Gott. Er hat ihm tatsächlich den Kopf sauber abgeschlagen«, stöhnte Lesley.
Genau wie Nicholas es geschildert hatte.
»Und
das
«, sagte ich, »ist menschenunmöglich.«
»Warum? Du hast doch selbst schon mal erlebt, wie ein Kopf abgetrennt wurde«, sagte Lesley. »Ich war auch dabei, schon vergessen?«
»Das war ein Autounfall«, widersprach ich. »Zwei Tonnen Metall, nicht ein Baseballschläger.«
»Ja, okay.« Lesley tippte auf den Monitor. »Aber du hast es ja gesehen.«
»Daran ist was faul.«
»Mit faul meinst du was anderes als nur den Mord?«
Ich klickte noch einmal zu dem Bild zurück, auf dem die Schlumpfmütze auftrat. »Siehst du hier einen Baseballschläger?«
»Nein, obwohl man beide Hände sieht. Vielleicht trägt er ihn auf dem Rücken.«
Ich klickte vorwärts. Auf dem dritten Bild erschien der Schläger wie durch Hexerei in seinen Händen, aber dieser Zaubereffekt konnte auch durch die Sekundenpause zwischen den Bildern erzeugt worden sein. Nein, etwas anderes stimmte nicht mit dem Schläger.
»Er ist viel zu lang für einen Baseballschläger«, sagte ich.
Der Schläger hätte dem Mann sicherlich vom Boden bis etwa zur Brust gereicht. Ich klickte ein paar Bilder zurück und dann wieder vor, konnte aber nicht entdecken, wo er dieses Riesending versteckt gehalten haben könnte.
»Wo kriegt man überhaupt einen Schläger von dieser Länge?«, fragte ich.
»In einem Laden für Baseballschläger in Übergrößen. Oder bei Bats R Us?«
»Schauen wir mal, ob wir nicht sein Gesicht erkennen können«, murmelte ich vor mich hin.
»Ich hab’s: im Superschlägershop«, sagte Lesley.
Ich achtete nicht auf sie und klickte wieder vorwärts. Der eigentliche Mord dauerte weniger als drei Sekunden: eine Sekunde, um mit dem Schläger auszuholen, eine zweite, um zuzuschlagen, und eine dritte, während der Williams Rumpf zu Boden stürzte. Das vierte Bild zeigte Schlumpfmütze, der sich gerade abwandte; das Gesichtwar im Dreiviertelprofil zu erkennen – ein weit vorspringendes Kinn und eine ausgeprägte Hakennase. Auf dem fünften Foto war er auf dem Rückweg. Er ging langsamer als vor der Tat; soweit man das bei der ruckenden Abfolge von Bildern erkennen konnte, schlenderte er sogar recht gelassen davon. Der Baseballschläger verschwand zwei Fotos nach dem Mord – und wieder konnte ich nicht erkennen, wohin er verschwand.
Ich überlegte, ob wir die Gesichter vielleicht vergrößern könnten, und suchte nach einem geeigneten Grafik-Bearbeitungsprogramm.
»Idiot«, sagte Lesley. »Das hat das Ermittlungsteam bestimmt als Allererstes gemacht.«
Sie hatte recht, der Datei mit dem Film waren Vergrößerungen der Standbilder von William Skirmish, Zeuge A und dem mörderischen Gentleman mit der Schlumpfmütze angehängt. Im Gegensatz zu den Krimisendungen im Fernsehen muss hier festgestellt werden, dass es eine Grenze für die Qualität von Vergrößerungen gibt, die man von den Aufzeichnungen einer technisch veralteten Videokamera anfertigen kann. Egal ob digital oder nicht – eine Information, die nicht da ist, ist eben nicht
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