Die Fluesse von London - Roman
Städten, die auf der Abfahrtstafel standen, kannte ich keine einzige Menschenseele; außerdem bezweifelte ich, dass mich diese Städte sehr viel freundlicher aufnehmen würden als London. Wahrscheinlich würde mein Geld sowieso höchstens für eine Fahrkarte bis Potters Bar reichen, und selbst wenn ich es schaffte, mich als Blinder Passagier in einen Zug zu schleichen, brauchte ich auch was zu essen. Nüchtern betrachtet, hatte ich Bargeld für ungefähr drei Mahlzeiten, dann würde ich wohl zu meinen Eltern zurückkehren müssen. Folglich war alles, wasich jetzt tat, nur ein Aufschieben des unvermeidlichen Augenblicks, in dem ich umkehren musste.
Die gleiche Erkenntnis überkam mich auch jetzt, um drei Uhr morgens am Covent Garden. Derselbe Zusammenbruch meiner potentiellen Zukunftsaussichten, von denen eine einzige Variante übrig blieb, die unentrinnbare Zukunft. Nie würde ich einen schnellen Sportwagen fahren und lässig verkünden: »Sie sind verhaftet.« Sondern ich würde in der CPU arbeiten müssen und mein Leben lang einen »wertvollen Beitrag« leisten.
Ich stand auf und machte mich auf den Rückweg zum Revier.
Aus der Ferne glaubte ich Gelächter zu hören. Da lachte mich jemand definitiv aus.
2
Der Geisterjagdhund
Am nächsten Morgen erkundigte sich Lesley, wie die Geisterjagd gelaufen war. Wir hingen vor Nebletts Büro herum, denn hier sollte mir heute der Todesstoß versetzt werden. Wir mussten eigentlich nicht hier sein, aber weder Lesley noch ich konnten die leidige Warterei noch länger ertragen.
»Es gibt Schlimmeres als die CPU«, sagte ich.
Darüber dachten wir eine Weile nach.
»Verkehr«, sagte Lesley. »Das ist viel schlimmer.«
»Aber man darf dann in Superschlitten herumfahren, 5er BMW, Mercedes M-Klasse .«
»Weißt du was, Peter?«, fragte Lesley. »Du bist eigentlich ein sehr oberflächlicher Mensch.«
Ich wollte gerade widersprechen, als Neblett seine Bürotür öffnete. Er schien keineswegs überrascht, uns hier zu sehen, und reichte Lesley einen Brief, die ihn seltsamerweise nur zögernd öffnete.
»Sie werden in Belgravia erwartet«, sagte Neblett. »Also los, beeilen Sie sich.« In Belgravia befindet sich das Quartier der Mordkommission von Westminster. Lesley winkte mir kurz zu, drehte sich um und hüpfte tatsächlich den Korridor entlang.
Neblett blickte ihr nach. »Die hätte es bei der Diebesjagd weit gebracht«, sagte er. Dann fasste er mich ins Auge und runzelte die Stirn. »Sie dagegen … ich weiß wirklich nicht, was aus Ihnen werden soll.«
»Ein Polizist, der einen aktiven und wertvollen Beitrag leistet, Sir«, sagte ich.
»Ein frecher Hund, das sind Sie«, knurrte Neblett. Und reichte mir nicht einen Briefumschlag, sondern einen kleinen Zettel. »Sie werden für Chief Inspector Thomas Nightingale arbeiten.« Auf dem Zettel waren Name und Adresse eines japanischen Restaurants an der New Row notiert.
»Welcher Bereich?«, fragte ich.
»Wirtschaftskriminalität und Spezialermittlungen, soweit ich weiß«, sagte Neblett. »Man will Sie in Zivil sehen, also beeilen Sie sich gefälligst.«
»Wirtschaftskriminalität und Spezialermittlungen« war eigentlich eher ein Sammelbegriff für eine Unmenge spezialisierter Einheiten, alles von Kunst und Antiquitäten über Einwanderung bis hin zur Computerkriminalität. Für mich war nur wichtig: Die CPU gehörte nicht dazu. Ich beeilte mich wegzukommen, bevor er es sich noch anders überlegte, aber ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich im Flur keinen Moment lang hüpfte.
New Row ist eine schmale Fußgängerstraße zwischen Covent Garden und St. Martin’s Lane, mit einem Tesco-Supermarkt am einen Ende und verschiedenen Theatern am anderen.
Tokyo A Go Go
war ein Bentō-Restaurant ungefähr in der Mitte der Straße, eingeklemmt zwischen einer Privatgalerie und einem Sportgeschäft für Mädchen.Das Restaurant war lang, aber kaum breit genug für zwei Tischreihen, und war nach der minimalistischen japanischen Art kaum dekoriert – glatt gewienerte Holzböden, Tische und Stühle aus lackiertem Holz und jede Menge rechte Winkel und Reispapier.
Nightingale saß an einem Tisch am anderen Ende; er aß Bentō aus einer schwarz lackierten Pappschachtel. Als ich an seinen Tisch trat, erhob er sich und schüttelte mir die Hand. Ich setzte mich ihm gegenüber und er fragte, ob ich etwas essen wolle. Ich lehnte dankend ab, denn ich war ziemlich nervös und habe es mir zur Gewohnheit gemacht, meinem Magen in
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