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Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)

Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)

Titel: Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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ungeheuren Flusses zog sich die Strömung mehrere Meilen lang hin bis dort, wo eine andere Insel, ›Nr. Einundsechzig‹, die Flut teilte und die größere Hälfte der Wassermasse an das westliche Ufer hinüberwarf. Das wurde noch dadurch gefördert, daß die Strömung durch eine ziemlich scharfe Biegung des linken Ufers gerade oberhalb ›Einundsechzig‹ schräg fast über die ganze Flußbreite getrieben wurde. Fast alle herabkommenden Boote ließen deshalb auch diese Insel links liegen und schnitten nur bei hohem Wasser die zwei oder drei Meilen ab, die sie sonst zurücklegen mußten, um wieder zwischen dem östlichen Ufer von Nr. Zwei- und Dreiundsechzig und dem Mississippistaat durchzufahren.
    Tom nun, der die Flußbahn des Mississippi nicht kannte und nur nach dem Überblick, den er von einer Uferspitze bis zur anderen bekam, seine Fahrt regelte, sah, daß der Strom hier einen ziemlich starken Bogen zur Rechten machte, und hielt, um den abzuschneiden, scharf gegen das östliche Ufer hinüber, was auch für sein leichtes Boot der nächste und der beste Weg stromab sein mußte. Immer schneller dunkelte es aber jetzt, ein leichter Nebel legte sich wie ein dünner Schleier über die trübe Stromfläche, und selbst der letzte lichte Schein an den hohen Uferbäumen hatte einer blasseren, mattgrauen Färbung Platz gemacht.
    In einzelne der hohen Sykomoren und Pappeln stiegen ganze Scharen weißer und blauer Reiher nieder, um hier ihren Nachtstand zu nehmen. Quer über den Strom zogen zwitschernde Schwärme von Blackbirds, den nordamerikanischen Staren. Auch die Krähen suchten mit dumpfem Krächzen ihren gewöhnlichen Ruheplatz, während lange Ketten von Wildenten dicht über das Wasser mit schnell schwirrenden Flügelschlägen dahinstrichen und hier und da einen scheuen Haubentaucher auftrieben, der dann, wenn sie vorüber waren, mit leise klagenden Lauten, als sei er verärgert, wieder seinen Platz auf einem alten treibenden Baumstamm einnahm, mit dem er vor Tag vielleicht mehrere zwanzig Meilen stromab zurücklegte.
    Aus dem Walde heraus wurden dabei die Frösche lauter und lauter, und zwischen das helle, monotone Geschrei der kleineren Gattungen fiel manchmal im harmonischen Baß und mit grimmig tönender Stimme irgendein ernsthafter Ochsenfrosch ein und gab dadurch dem rauschenden Tenor- und Sopranchor eine gediegenere Grundlage. Zahlreiche Nachtfalken kreuzten dicht am Lande hin, und über dem westlichen Ufer schwebte sogar, in diesen flachen Gegenden ein seltener Gast, ein weißköpfiger Adler, das Symbol der Vereinigten Staaten, und suchte, den schönen Kopf mit den großen klugen Augen gar scharfsinnig seitwärts gebogen, nach irgendeinem unglücklichen Truthahn, den er aus den Zweigen herausholen und seinem eigenen Horst zutragen könnte.
    Tom Barnwell mußte scharf rudern, um nicht von der Strömung auf den oberen Teil der Insel getrieben zu werden. Doch sobald die äußerste Spitze umschifft war, führte ihn auch die Flut selbst daran hin, und da er auch keine Snags und vorragenden Baumstämme zu fürchten brauchte, von denen sich sein leichtes Boot bald wieder losgerissen hätte, so legte er die Ruder bei, lehnte sich behaglich zurück und trieb nun, die Augen fest auf die hier und da hervorblitzenden Sterne geheftet, den Strom hinab. Lange hatte er in dieser Stellung verharrt. Der dunkelblaue Himmel blitzte und funkelte in seinem prachtvollen Schmuck, und der Wald rauschte neben ihm, während unter den Planken des leichten, schlanken Fahrzeugs die wilde Flut gurgelte und murmelte und ihre eigenen wunderlichen Betrachtungen zu haben schien. Es war eine wundervolle Nacht, und stiller, heiliger Friede lag auf dem breiten, ruhigen Strome.
    Ach, welch ein abgrundtiefer Seufzer entfloh da den Lippen des jungen Matrosen! Hatte der wilde Bootsmann des Mississippi solch bitteres geheimes Weh zu tragen? – Waren das Tränen, die dem rauhen Mann die Wimpern netzten und ihm leise, leise an den Schläfen hinabrannen? – Er sprang auf und warf sich die langen braunen Locken halb unwillig aus der Stirn, ohne dabei die Augen zu berühren; er wollte die Tränen nicht anerkennen.
    »Zum Henker mit den Dämmerstunden!« murmelte er vor sich hin. »Ist's doch immer, als ob es einem ordentlichen Kerl da gleich breiweich ums Herz werden müßte. Und wenn man erst einmal in das endlose Blau da hinaufstarrt und hier und da so ein paar glänzenden Sternen begegnet, die wie Augen zusammenstehen, da möchte man doch fast

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