Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
von den Armen des jungen Mannes gehalten, verharrte in ihrer Stellung und blieb mehrere Minuten lang, den Blick fest auf die immer mehr verschwimmende Insel geheftet, stehen; dann aber wandte sie sich gegen ihren Retter um, sah ihm, während sie sich mit der rechten Hand den Scheitel langsam zurückstrich, kurze Sekunden starr ins Auge und flüsterte leise und ängstlich: »Kommt, Tom Barnwell! – Kommt, – fahrt mich ans andere Ufer hinüber; – dort muß Eduards Leiche angewaschen sein!«
»Marie«, schrie da plötzlich der junge Mann, und seine ganze starke Gestalt zitterte und bebte, – »Marie, – bei dem ewigen Gott da oben, – Ihr hier, – in diesem Zustand!«
»Ruhig, mein guter Tom«, bat die Wahnsinnige, – »ich weiß wohl, du hattest mich lieb; aber – es sollte nicht sein. Eduard kam – ha, Eduard; – was schwimmt da drüben im Strome? – Laß uns hinüberfahren; ich denke, ich kenne das bleiche Antlitz, auf das die Sterne niederscheinen; – das muß mein Vater sein!«
»Marie, um Gottes willen, was ist geschehen?« bat jetzt der junge Barnwell, während er sie langsam und vorsichtig auf den Bootssitz im Heck niederließ. »Was ist Euch Fürchterliches begegnet? Wo sind Eure Eltern? Wo ist Euer Gatte?«
»Meine Eltern? Mein Gatte?« wiederholte die Unglückliche, und es war augenscheinlich, sie verstand im Anfang nicht einmal den Sinn der Worte, die sie nachmurmelte. Endlich aber mochten wohl alle jene in Wahnsinnsnacht fast versunkenen gräßlichen Bilder, die ihr Hirn und Herz verwirrt hatten, vor ihrer Seele wieder auftauchen; denn sie barg plötzlich ihr Antlitz in den Händen, und während ein Fieberfrost ihre Glieder zu durchfliegen schien, stöhnte sie halblaut vor sich hin: »Alle tot – alle – alle! – In ihrem blutigen Grabe liegen sie. – Nein!« rief sie plötzlich und sprang empor. »Nicht blutig; – der Strom wusch sie rein; er wollte die häßlichen Leichen nicht so rot mit fortnehmen. – Als Eduard wieder an der Seite emportauchte, sah er weiß und rein aus, und der Kopf war ihm nicht gespalten. – Er lachte – heiliger, allmächtiger Gott, – das Lachen ist es ja gerade, was mich wahnsinnig gemacht hat!« Zwischen den bleichen, zarten Fingern quollen jetzt unaufhaltsam die großen, hellen Tropfen vor, und ihr Schmerz schien dadurch wohl nicht leidenschaftsloser, aber doch ihrem ganzen zerrütteten Nervensystem weniger gefährlich zu werden. Tom hütete sich auch wohl, diesen Ausbruch langverhaltenen Grams zu unterbrechen. Mit krampfhaft gefalteten Händen stand er vor der Armen, und noch immer kam es ihm fast wie ein wilder, entsetzlicher Traum vor, daß Marie – Marie, an der früher sein ganzes Herz hing, jetzt hier – allein, – wahnsinnig, – von all den Ihren getrennt oder verlassen, in seinem Kahne ruhe und er nun für sie sorgen dürfe, für die er ja so gern sein bestes Herzblut verspritzt hätte. Endlich fühlte er aber doch, daß er nicht allein ein Unterkommen für das kranke Wesen finden, sondern auch erfahren müsse, wie ihr zu helfen und was die Ursache ihres Unglücks gewesen sei. Allerlei wirre Vermutungen kreuzten dabei sein Hirn; er verwarf sie aber alle wieder, und nur das eine blieb ihm wahrscheinlich, daß sie hier irgendwo an jener Insel mit Boot oder Fahrzeug verunglückt sei, vielleicht den Untergang aller übrigen gesehen und sich allein dort auf einem der in den Fluß ragenden Äste gerettet habe.
Einzelne, nur wenig zusammenhängende Worte, die sie noch später ausstieß, bestärkten ihn auch in dieser Vermutung, und er wußte für den Augenblick keinen anderen Rat, als sie mit sich stromab zu nehmen, bis er entweder ein Dampfboot fände, das imstande wäre, Helena noch vor des alten Edgeworth Abreise zu erreichen, oder diesem selbst wieder begegnete. Edgeworth kannte Marie ebenfalls von früher her und wußte wohl überdies besser, was mit dem armen, unglücklichen Weibe anzufangen oder wo es unterzubringen sei.
Mehrere Stunden trieb er so langsam stromab und saß noch immer, das Haupt des armen Kindes unterstützend, in seiner Jolle, als er am linken Ufer ein Dampfboot liegen sah, das dort Holz einnahm. – Er richtete jetzt, so gut das in der Eile gehen wollte, mit der Jacke ein Lager für seinen Schützling her, der, teilnahmslos für alles, was um ihn her vorging, sich das auch ruhig gefallen ließ. – Dann aber griff er wieder zu den Rudern und hielt nun gerade hinüber nach jenem Holzplatz, um ihn noch vor Abfahrt des
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