Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
kann es zu Veränderungen in der Sequenz kommen. Führt eine solche Mutation zu einer geringeren Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit des Organismus, so wird sie durch natürliche Selektion höchstwahrscheinlich aus der Population eliminiert. Andererseits kann eine Mutation aber auch zu verbessertem Fortpflanzungserfolg führen, so dass die natürliche Selektion das Auftreten der mutierten Variante innerhalb der Population begünstigen würde. Möglich wird dies durch die Fähigkeit der Varianten, durch DNA-Replikation persistent zu bleiben.
Zwischen Variabilität und Persistenz muss ein Gleichgewicht herrschen, damit es zur Evolution kommen kann. Die Variabilität bietet das Rohmaterial für die natürliche Selektion, während dank Persistenz Informationen von einer Generation an die nächste weitergereicht werden können. Variabilität ohne Persistenz würde bedeuten, dass Veränderungen nicht beibehalten und im Laufe der Evolution ausgebaut werden könnten. Und Persistenz ohne Variabilität würde die Evolution zum Stillstand bringen.
Das Gleichgewicht zwischen Persistenz und Variabilität ist nicht nur eine Voraussetzung für die Evolution; es hat sich selbst auch erst durch die Evolution herausgebildet. Zur DNA-Replikation etwa werden Proteine benötigt, die die DNA-Stränge trennen und kopieren. Arbeiten diese Proteine schlampig und unterlaufen ihnen viele Fehler, so kommt es zu sehr vielen Mutationen. Damit würde die Variabilität stärkeres Gewicht erhalten als die Persistenz. Zu viele Fehler würden aber bedeuten, dass die DNA nicht mehr wirksam kopiert werden könnte, und ihre Sequenz würde degenerieren – so wie ein schlechter Kopierer dazu führt, dass viele Informationen aus einem Bild verloren gehen. Wegen dieser negativen Wirkung eines nachlässigen Kopiervorgangs fielen die Proteine, die dafür verantwortlich sind, bei der natürlichen Selektion allmählich in Ungnade. Das Gleichgewicht würde dann zugunsten der Persistenz und nicht mehr der Variabilität umschlagen. Über Milliarden Jahre der Evolution gab es ein ständiges Zusammenspiel zwischen Persistenz, Variabilität und Selektion. Das Gleichgewicht zwischen Variabilität und Persistenz, das wir in den Populationen unserer Umwelt heute beobachten, ist ein Produkt dieser langen Evolutionsgeschichte.
Das Zusammenspiel von Persistenz, Variabilität und Selektionstellt die erste von mehreren Rückkopplungsschleifen dar, auf die wir in diesem Kapitel stoßen werden. Wir sehen daran, dass die verschiedenen Prinzipien, die ich beschreibe, nicht völlig voneinander unabhängig sind. Variabilität und Persistenz sind nicht einfach nur gegebene Parameter der Evolution, sondern werden im Evolutionsprozess auch selbst modifiziert.
DAS PRINZIP DER VERSTÄRKUNG
Variabilität innerhalb der Population und Persistenz bei der Vererbung bilden den Hintergrund der Evolution. Sie selbst stellen aber keine Schubkraft für den evolutionären Wandel dar. Um diese Kraft auszumachen, wollen wir nun eine bestimmte Klasse von Varianten betrachten, nämlich die, die die Fortpflanzungsfähigkeit betreffen.
Kernstück dieses Phänomens ist das exponentielle Wachstum. Gehen wir von einer Population aus 100 Kugeln aus. Die Kugeln können sich in einem bestimmten Rhythmus duplizieren, so dass zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einer Kugel zwei neue werden. Nun nehmen wir an, dass diese Duplikationen innerhalb einer Stunde durchschnittlich zu einem Anstieg der Kugelanzahl um 10 Prozent führen. Nach einer Stunde haben wir also statt 100 etwa 110 Kugeln. Nun gibt es etwas mehr Kugeln, von denen jede das Potenzial zur Duplikation hat. In der nächsten Stunde wird die Anzahl der Kugeln also im Schnitt um 11 (10 Prozent von 110) auf insgesamt 121 steigen. Der Kugelbestand steigt exponentiell immer weiter an, so dass wir nach zehn Stunden etwa 260 und nach 100 Stunden über eine Million Kugeln vorfinden.
Nehmen wir nun an, die Kugeln hätten zwei unterschiedliche Farben, entweder schwarz oder weiß. Wir gehen davon aus, dass die Farbe einer Kugel bei der Duplikation getreu beibehalten wird; aus Schwarz wird also Schwarz, und aus Weiß Weiß. Beginnen wir mit der gleichen Anzahl schwarzer und weißer Kugeln, die sich beide durchschnittlich mit derselben Wachstumsrate duplizieren, so bleibt die Proportion von weißen zu schwarzen Kugeln im Lauf des Populationsanstiegs im Wesentlichen dieselbe. Anders verhält es sich aber, wenn die beiden Farben sich unterschiedlich
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