Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
einmal so weit, gibt es kein Zurück mehr, und die Population hat endgültig nur noch eine Farbe, sagen wir, schwarz. Wir sagen, die Population hat sich dann auf Schwarz gefestigt. Nur durch die Wirkung der wiederholten Stichprobenentnahme (wiederholter Wettbewerb um eine begrenzte Zahl von Plätzen) hat sich die Population von einem 50:50-Verhältnis auf eine einzige Farbe gefestigt; und das, obwohl jede einzelne Kugel, ob schwarz oder weiß, in jeder Generation exakt dieselbe Chance hatte, in die Stichprobe zu kommen (jeder Teilnehmer an unserem Wettbewerb hat exakt dieselben Vorbedingungen und damit die gleichen Gewinnchancen).
Vergleichen wir dieses Ergebnis mit dem, was bei einer einzigen Probenentnahme passiert. Entnehmen wir aus einer gleichmäßigen Mischung von 1000 schwarzen und weißen Kugeln eine Stichprobe von 100 Kugeln, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass alle 100 von derselben Farbe sind, etwa 1:10 30 . Das ist 10 24 Mal weniger wahrscheinlich als ein Lottogewinn. Entnähme man immer nur eine einzige Stichprobe, so müsste man die Versuche länger fortsetzen, als das Universum alt ist, um eine Chance zu bekommen, dass alle gezogenen Kugeln dieselbe Farbe haben. Mit dem Schema wiederholterRunden von Stichprobenentnahme und Replikation hingegen ist es fast unausweichlich, dass wir zum Schluss mit nur einer Farbe dastehen. Nötig sind dafür nur etwa 100 Generationen. (Die wirkliche Dauer ist proportional zur Größe der Stichprobenpopulation). Indem wir eine begrenzte Stichprobe einführen (Wettbewerb um eine begrenzte Anzahl von Plätzen) und jede Generation auf die vorhergehende aufbauen lassen, haben wir den Ablauf grundlegend verändert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich nun von Natur aus eine der Formen durchsetzen. Ob die dominierende Form schwarz oder weiß ist, ist gleich wahrscheinlich, aber eine wird mit Sicherheit irgendwann obsiegen.
Auch das Leben ist eine Lotterie. Wenn die wilden Apfelbäume in den Wäldern von Tian Shan ihre Unmengen von Äpfeln produzieren, kann nur ein kleiner Anteil der Samen in diesen Früchten zu reifen Bäumen heranwachsen, die selbst eine neue Generation begründen. Das liegt daran, dass die Region Tian Shan in ihrer Größe begrenzt ist und nur soundso viele Apfelbäume tragen kann. Die erwachsenen Bäume entsprechen unserer Stichprobenpopulation aus dem Ziehungsgerät. Stellen wir uns vor, dass jeder Baum pro Generation eine Million Samen produziert, dann wächst von dieser Million im Schnitt nur ein Samen zu einem Baum heran. In diesem Fall umfasst unsere Stichprobenproduktion also nur ein Millionstel der ursprünglichen Population im Ziehungsgerät. Es besteht ein harter Wettbewerb um relativ wenige Plätze. Und wie in dem eben beschriebenen Lotteriezyklus wiederholt sich der Prozess von Generation zu Generation.
Die schwarzen und weißen Kugeln entsprechen verschiedenen Genvarianten in der Population der Apfelbäume. Solche genetische Variabilität wird durch Mutation ständig in die Population eingebracht. Beim Aufkommen neuer Varianten erreichen manche von ihnen höhere Bestände, weil die wiederholte Stichprobenentnahme (Wettbewerb) über Generationen weitergeht. Zu dieser Gendrift, die auf der Begrenzung der Populationsgröße beruht, kommt es auch dann, wenn die Genvarianten keine Auswirkung auf die Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit haben. Irgendwann festigt sich die Population auf bestimmte Varianten, so wie wir es bei der wiederholten Stichprobenentnahme von schwarzen und weißen Kugeln beobachtet haben.
Das Phänomen der Gendrift zeigt, dass sich die Einführung einerPopulationsbegrenzung dramatisch auf das auswirken kann, was im Lauf vieler Generationen geschieht. Im Abschnitt über das Prinzip der Verstärkung haben wir gesehen, wie exponentielles Wachstum allmählich zum proportionalen Übergewicht einer Genvariante führen kann, wenn sie gegenüber einer anderen einen Fortpflanzungsvorteil aufweist. Da aber die andere Variante nicht eliminiert wurde, konnte die eine Variante sich nie vollständig durchsetzen. Durch die Einführung einer Begrenzung für unsere sich fortpflanzende Population können jetzt bestimmte Genvarianten die absolute Überzahl erreichen, und zwar selbst dann, wenn die konkurrierenden Genvarianten exakt dieselbe Fortpflanzungsrate aufweisen. Allein der Wettbewerb hat, ungeachtet der Vorteile jeder Variante, die Evolution und den allmählichen Wandel unserer Population möglich gemacht.
Nun sind wir
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