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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Wettbewerb selbst eindämmen, damit unsere Erfahrungen mit dem zusammenpassen, was wir lernen. In Einzelheiten mögen sich die verschiedenen Lernmechanismen voneinander unterscheiden, die Grundprinzipien sind aber immer dieselben.
EINE NEURONALE REISE
    Zum Lernen benötigen wir mehr als ein Neuron. Im Fall des TD-Learnings bestehen Wechselwirkungen zwischen Erwartungs- und Diskrepanzneuronen, sensorischen Neuronen, die Stimuli wie Berührung, Licht und Geräusch wahrnehmen können, sowie Neuronen, die Reaktionen wie Armbewegungen oder Speichelfluss steuern. Gegebenenfalls unterstützen diese Neurone ihre Handlungen gegenseitig. Die Stärkung der Synapse zwischen Türgeräusch- und Erwartungsneuron beruht nicht nur auf dem Feuern des Türgeräusch-Neurons, sondern auch auf der Feuerungsrate des Diskrepanzneurons. Beide müssen gleichzeitig feuern, damit die Synapsenstärke erhöht wird. Dafür müssen die Outputs des Türgeräusch- und des Diskrepanzneurons beim Erwartungsneuron zusammenlaufen. Wir haben bereits festgestellt, dass Kooperation häufig räumliche Nähe voraussetzt, in diesem Fall das gemeinsame Auftreten bestimmter Nervenenden und Dendriten. Ohne diese räumliche Nähe würde jedes Neuron isoliert handeln, und Lernen wäre damit unmöglich. Das Prinzip der Kooperation ist ein weiteres Schlüsselelement des Lernens.
    Die Zusammenführung vieler Komponenten ermöglicht viele verschiedene Kombinationen. Das menschliche Gehirn enthält an die 100 Milliarden Neurone. Jedes Neuron hat vielleicht Tausende Synapsen; die Gesamtzahl der synaptischen Verbindungen ist also tausendmal größer, das heißt es sind etwa 100 Billionen. Das schafft einen riesigen Raum der neuronalen Möglichkeiten. Großen Räumen sind wir ja bereits begegnet: Bei der Evolution war es der genetische Raum, also alle möglichen DNA-Sequenzen; bei der biologischen Entwicklung war es der Entwicklungsraum, also alle möglichen Stadien der Zellen und ihre Anordnungen in einem Embryo. Das alles sind riesige Hyperräume mit unzähligen Dimensionen. Genauso haben wir jetzt den neuronalen Raum, das enorme Spektrum möglicher Verbindungen und Feuerungsraten von Neuronen im Gehirn. Und wir stoßen wieder auf das Prinzip des kombinatorischen Reichtums, diesmal angewandt auf die neuronalen Verknüpfungen.
    Wir haben uns zuvor die Evolution so verbildlicht, dass Populationen durch den genetischen Raum reisen, und die biologische Entwicklung so, dass ein Embryo sich durch den Entwicklungsraum bewegt. Genauso können wir uns das Lernen so vorstellen, dass ein Gehirn durch den neuronalen Raum reist. Wir kommen alle mit einem bereits hoch durchstrukturierten Gehirn zur Welt; das entspricht einer bestimmten Stelle im imaginären neuronalen Raum. Dabei stehen niemals zwei von uns an genau derselben Stelle, vor allem weil die Unterschiede in unserer genetischen Grundlage sich darauf auswirken, wie unsere Gehirne sich im Mutterleib entwickeln. Nach der Geburt beginnen wir intensiv, mit der Umwelt in Beziehung zu treten, und jede Wechselwirkung verschiebt uns im neuronalen Raum, nimmt uns mit auf eine höchst verschlungene neuronale Reise. Das Lernen spielt bei unserem Vorwärtskommen eine bedeutende Rolle, weil es die Stärke und die Anzahl der neuronalen Verknüpfungen verändert. Die Beispiele mit dem Pawlow’schen Hund und dem Affen, der nach seiner Belohnung greift, illustrieren, wie sich Verknüpfungen an ein paar wechselwirkenden Neuronen verändern. Entsprechendes passiert aber gleichzeitig mit sehr vielen Inputs, Outputs und Querverbindungen im Gehirn, und das führt uns auf die komplizierte neuronale Reise.
    Eine Hauptfolge aus dieser neuronalen Reise ist, dass wir immer besser vorhersagen können, was wahrscheinlich als nächstes passieren wird. Beständig modifizieren wir unsere Erwartungen auf Grundlage unserer Erfahrungsgeschichte und können so immer besser mit unserem Umfeld umgehen. Was aber hält uns im neuronalen Raum in Bewegung? Worin liegt die beständige Antriebskraft für das Lernen?
I N BEWEGUNG BLEIBEN
    Eines der zentralen Merkmale des TD-Learnings besteht darin, dass es Diskrepanzen nicht beseitigt, sondern lediglich verschiebt. Beim Affenexperiment reizt am Ende das Türgeräusch und nicht mehr das Ertasten des Apfels das Diskrepanzneuron, die Diskrepanz wurde also auf einen früheren Zeitpunkt verschoben. Während der Affe anfangs dadurch erregt wurde, dass er den Apfel ertastete, wird er nun beim Türgeräusch erregt. Laut den

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