Die Fotografin
Isabelle Wagner etwas darauf erwidern kann, läutet es an der Tür. Es ist Dr. Atzbach, der Rechtsanwalt der Partei. Er und Gregor sind sich nicht besonders sympathisch, aber die Parteiräson geht vor.
„Entschuldige, dass es so lange gedauert hat!“ Atzbach raschelt mit einem Schriftstück. „Das hat ein Inspektor Hellwig von der Mordkommission unterzeichnet“, sagt er triumphierend. „Damit ist die ganze Sache endgültig aus der Welt geschafft.“
„Mordkommission?“ Ganz deutlich kann ich die Panik in Gregors Stimme hören. „Du meine Güte! Gibt es jetzt eine Morduntersuchung?“
„Beruhige dich, Gregor!“ Atzbach klingt wie immer herablassend und gönnerhaft. „Inspektor Hellwig wollte der kleinen Streifenpolizistin nur einen privaten Gefallen tun. Sie hat ihn darum gebeten. Es ist also nichts Offizielles.“
Umständlich und mit hochgestochenen Phrasen erklärt Atzbach, was es mit dem Schriftstück auf sich hat. Im Grunde lässt sich alles auf wenige Sätze reduzieren: Inspektor Hellwig verzichtet auf jegliche Einvernahme von mir, da ich nicht zurechnungsfähig bin und unter Wahnvorstellungen leide. Alle bisherigen Erkenntnisse aus meinem Telefongespräch mit Isabelle Wagner sind daher unzulässig. Das hat Hellwig unterzeichnet und damit gibt es die Möglichkeit, dass ich meinen Liebhaber doch ermordet haben könnte, einfach nicht mehr.
Dieses Schreiben liest Atzbach Isabelle Wagner vor, die nichts darauf erwidert, sondern wortlos das Haus verlässt.
„Das war knapp!“, schnauft Gregor, als die Tür hinter Isabelle Wagner ins Schloss fällt und atmet tief durch. „Was ist, wenn diese Polizistin trotzdem nicht locker lässt?“ Gregor bemüht sich, seiner Stimme einen beiläufigen Ton zu geben.
„Weshalb diese Angst, Gregor?“, fragt Brandt, der plötzlich hellhörig geworden ist. „Was könnte sie denn finden, wenn sie tiefer bohrt?“
„Natürlich nichts, aber die Optik wäre verheerend.“ Gregor klingt gehetzt. „Die Presse setzt sich auf die Story und findet sicher auch ihre Aktion mit dem nicht existenten Björn heraus. Dass sie eine ganze Woche lang die schwedische Polizei auf Trab gehalten hat mit dieser erfundenen Geschichte. Sie ist dann abgestempelt als die verrückte Gattin eines Politikers. Und was das für meine Kandidatur bedeutet, das könnt ihr euch ja ausmalen!“
„Sie hat also einen Rückfall“, bringt Brandt es wieder auf den Punkt. „Nur dass sie jetzt glaubt, ihren erfundenen Liebhaber auch noch ermordet zu haben.“
Es fällt mir auf, dass niemand meinen Namen ausspricht, wenn über mich geredet wird. Selbst für Gregor, meinen Mann bin ich jetzt nur noch eine namenlose „Sie“.
„Gar nichts wird passieren“, mischt sich jetzt auch Atzbach ein. „Das ist doch bloß eine kleine Streifenpolizistin!“ Atzbach würgt die Sätze hervor, als müsse er gleich kotzen. „Es ist wie bei einer Stubenfliege. Hat eine durchschnittliche Lebensdauer von einem Tag und wenn sie vorher lästig fällt, dann wird sie eben erschlagen!“
„Origineller Vergleich!“, meint Gregor unbehaglich, weiß aber anscheinend nicht so recht, wie er sich verhalten soll, deshalb höre ich das vertraute Klacken, als er wieder am Ring seiner Taucheruhr dreht.
„Es kommt bloß auf den Blickwinkel an! Meiner ist von oben und diese kleine Polizistin ist ganz unten.“ Atzbach räuspert sich lautstark und knallt die Absätze seiner Schuhe zusammen, als würde er salutieren. „Meine Herren, Adieu! Wir sehen uns bei der Sitzung am Nachmittag.“
Ich bin feige, ich weiß. Aber ich getraue mich nicht, das Fenster aufzureißen und nach Isabelle Wagner zu rufen, die mit gesenktem Kopf vor unserem Haus steht und das Schriftstück zusammenfaltet, das ihr Atzbach gegeben hat. Im Sucher meiner Kamera sehe ich die zusammengekniffenen Lippen von Isabelle Wagner. Ich zoome sie näher heran und verharre auf ihren bernsteinfarbenen Augen, die verräterisch glänzen, so als würde sich Isabelle Wagner mit aller Gewalt zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. An diesen traurigen Augen erkenne ich, dass ich sie durch mein Verhalten in eine ausweglose Situation manövriert habe. Deshalb gehe ich mit der Kamera wieder auf Distanz und in rasender Geschwindigkeit wird ihr Kopf kleiner und ihre ganze Gestalt ist im Sucher zu sehen. In ihrer zu großen Uniform und mit den klobigen schwarzen Schnürschuhen wirkt sie durch das Objektiv meiner Kamera wie ein verkleidetes Kind. Sie tut mir unendlich
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