Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
unter Kriegsbedingungen. Doch nun, im Frieden, führte jede ihr eigenes Leben. Renée war weiterhin agil und unternehmungslustig, reiste viel mit ihrem Mann, auch später noch, mit ihrem zweiten Ehegatten. Da waren Ady und Jupp bereits im Rentenalter.
Auf den Bildern ab den sechziger Jahren wirkt Jupp zufrieden, als ob eine Last von ihm genommen ist. Er hat sein Geschäft und seine Selbstständigkeit aufgegeben und sich bei Pfaff als Nähmaschinen-Mechaniker anstellen lassen. Noch einmal ziehen sie um nach Rheidt am Rhein bei Niederkassel. Dort ist Ady nicht länger das belgische Anhängsel, dort ist auch Jupp fremd. Nun scheint sie diejenige zu sein, die mehr und mehr das Regiment übernimmt. Sie plagen weiterhin Atemnot und ihre Anfälligkeit für Krankheiten, die sie wegen ihrer frühen Tuberkuloseerkrankung nie losgeworden ist. Doch sie scheint nicht zu altern. Im Gegenteil, es sieht so aus, als ob Ady noch einmal erstrahlt. Sie gibt sich wieder damenhafter, kontrolliert ihre Haltung, achtet beim Fotografieren wieder mehr auf ihre Posen. Dennoch wirkt sie lässiger als in ihren jungen Jahren. Sie ist eine reife Frau, hat ihre Erfahrungen gemacht und bewegt sich souverän. Ihr Leben an der Seite von Jupp verläuft in ruhigen Bahnen.
Außerhalb ihres kleinen Reiches in Rheidt, verändert sich unterdessen die Welt. Mit der Ölkrise Anfang der 70er kehrt nach langen Jahren der Sicherheit eine neue Zukunftsangst in die deutschen Wohnstuben zurück. Aber das beunruhigt sie in Rheidt nicht mehr, Jupp denkt bereits an die Rente.
Entspannung auch endlich zwischen ihnen, Jupp und Firmin 1964 in Antwerpen.
Dann sterben die Eltern, Jupps Mutter zuerst, wenig später Firmin. In Antwerpen wird Maria immer einsamer, Ady dehnt ihre Besuche aus, und die Mutter bleibt immer länger bei den Kindern. Im Frühsommer 1974 ist Maria wieder einmal in Rheidt. Doch diesmal bleibt sie für immer. Sie erkrankt und erholt sich nicht mehr. Am 22. Juni 1974 stirbt Adys geliebte Mamatje im Krankenhaus in Troisdorf im Alter von 85 Jahren.
Ady war allein, seit sie im Sommer 1944 Antwerpen verlassen hat, aber noch nie zuvor, auch nicht nach dem Tod Firmins, wurde das so deutlich wie nach dem Tod Marias. Sie wird nie wieder einen Brief, ein Kärtchen, ein Paket oder einen Gruß auf einem Foto von Maria erhalten. Dieses Zuhause gibt es nicht mehr. Daheim ist nur noch Rheidt – und Jupp.
Ady schreibt sich weiterhin mit alten Freunden. Renée schickt Grüße, sie wird gegen ihren Willen in Rente geschickt und lernt ihren zweiten Mann kennen, auch von Georgeke erhält Ady Post: Er schickt ihr seine Hochzeitsanzeige, er hatte geheiratet – 1978 zumersten Mal? Ady verschwand nie aus seinem Leben, Jahre später erhält sie von ihm einen süßen Gruß eines belgischen Chocolatiers, mit einer kleinen Karte: »je porte bonheur, ik breng geluk.« (Ich bringe Glück.)
Mit Jupp bleiben Ady noch zehn Jahre, er stirbt am 5. Februar 1985. Ady, die nie allein sein wollte und konnte, nun ist sie das erste Mal wirklich allein. 42 Jahre lang sind sie zusammen gewesen. In den Fotoalben sieht es so aus, als habe sie bei Jupp das gefunden, was sie suchte, ihre Liebe.
Sie will nicht allein bleiben. Sie hält es noch ein halbes Jahr ohne ihren Jupp aus, dann meldet sie sich im Altenheim »Haus Elisabeth« an. In den Nachbarort, nur über die Felder, müssen ihre wenigen Sachen, die sie mitnimmt, transportiert werden.
Rheidt, ein Jahr vor Marias Tod, 1973.
Anfang Januar 2003 kündigte sich schweres Hochwasser im Rhein an. Auch im Altenheim in Niederkassel, es liegt gleich hinterm Damm, dachten sie über eine Evakuierung der unteren Stockwerke nach. Ady bekam die Aufregung mit, dann aber stahl sie sich am Dreikönigstag aus dem Leben davon.
Sie hatte sich nach dem Krieg entschieden, bei Jupp in Deutschland zu bleiben. Damals ahnte sie nicht, wie endgültig ihre Entscheidung sein würde, dass sie wegen der Heirat mit dem Deutschen lange Jahre nicht nach Antwerpen würde zurückkehren können, auch nicht, dass sie sich in Bottrop mit ihrer neuen Familie doch nicht so gut verstehen würde. Sie war schließlich nirgends mehr richtig zuhause. Adriana Van den Eynde lebte zwischen den Orten. Sie fühlte sich nur noch heimisch bei Menschen, bei Maria und Firmin und bei Jupp. So wirkten auch bei ihr der Krieg und der Nationalsozialismus noch jahrzehntelang nach.
Danksagung
Meine Absicht war, mit diesem Buch einer der vielen unspektakulären Biographien des 20.
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