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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Akzente, die Figur wird dreidimensional, ein Glasgefäß. Sorgfältig zeichne ich die Züge, schaffe die Strukturen des Gesichts, setze die Augen ein, die mich ansehen, als würden sie staunen, dass es sie plötzlich gibt. Die Haare wogen über das Papier, schweben schwerelos und unbeweglich, ein linearer Kontrast, der dem statischen Körper Dynamik verleiht. Was fehlt noch in diesem Universum, in dieser Zeichnung? Andere, weit entfernte Sterne. Ich wühle in meinem Werkzeug und nehme eine Nadel. Dann klebe ich die Zeichnung über ein Fenster und fange an, lauter kleine Löcher ins Papier zu stechen, und jeder Nadelstich wird eine Sonne in einem anderen Weltensystem. Und als ich eine Galaxie voller Sterne habe, steche ich die Figur aus, und nun ist sie wirklich eine Sternenkonstellation, ein Netzwerk aus winzigen Lichtern. Ich betrachte mein Abbild, es erwidert meinen Blick. Ich lege ihm den Finger auf die Stirn und sage: »Verschwinde«, aber sie bleibt einfach und ich - ich verschwinde.

IMMER WIEDER
Donnerstag, 24. Juli 2053 (Henry ist 43, Clare 82)
     
    Henry: Ich bin in einem dunklen Flur. Am anderen Ende befindet sich eine Tür, leicht geöffnet, an den Rändern strahlt weißes Licht. Im Flur stehen lauter Gummistiefel und hängen Regenmäntel. Langsam und leise gehe ich zu der Tür und sehe vorsichtig in den Raum nebenan. Morgenlicht erfüllt das Zimmer und blendet mich zunächst, doch dann gewöhnen sich meine Augen daran und ich sehe einen schlichten Holztisch an einem Fenster. Eine Frau sitzt am Tisch, ihr Gesicht ist dem Fenster zugewandt. Vor ihr steht eine Teetasse. Draußen am See schlagen die Wellen ans Ufer und weichen zurück, so beruhigend und gleichmäßig, dass es nach einiger Zeit wirkt wie Stille. Die Frau sitzt vollkommen reglos da. Etwas an ihr kommt mir vertraut vor. Sie ist alt; ihre herrlich weißen Haare liegen in einem langen dünnen Strom auf ihrem Rücken, über einem leichten Buckel. Sie trägt einen korallenroten Pullover. Die Wölbung ihrer Schultern, die Steifheit ihrer Haltung sagen mir, da ist jemand, der sehr müde ist, und ich selbst bin auch sehr müde. Ich verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, der Holzboden knarrt. Die Frau dreht sich um und sieht mich, ihr Gesicht erstrahlt vor Freude. Ich bin verblüfft, denn es ist Clare, Clare als alte Frau! und sie kommt zu mir, ganz langsam, und ich schließe sie in die Arme.
     
    Clare: Heute Morgen ist die Luft sehr rein; der Sturm hat lauter Äste im Garten verstreut, die ich, wenn ich später nach draußen gehe, aufheben werde: Der ganze Sand vom Strand hat sich neu verteilt und liegt da wie eine frische glatte Decke mit Spuren von Regentropfen, die Taglilien neigen sich und glitzern im weißen früh-morgendlichen Licht. Ich sitze mit einer Tasse Tee am Esstisch, blicke hinaus aufs Wasser und horche. Warte.
    Heute unterscheidet sich nicht besonders von den vielen anderen Tagen. Ich stehe im Morgengrauen auf, ziehe meine Hose und einen Pullover an, bürste mir die Haare, mache Toast und Tee, sitze da und blicke zum See hinaus, frage mich, ob er heute kommen wird. Es unterscheidet sich nicht besonders von den vielen anderen Malen, als er fort war und ich gewartet habe, nur habe ich diesmal Anweisungen: Diesmal weiß ich, Henry wird endlich kommen. Manchmal frage ich mich, ob mein Bereitsein, ob mein Warten vielleicht verhindert, dass das Wunder geschieht. Doch ich habe keine Wahl. Er wird kommen, und ich bin da.

Da schwoll ihm sein Herz von inniger Wehmut:
    Weinend hielt er sein treues geliebtes Weib in den Armen.
    So erfreulich das Land den schwimmenden Männern erscheinet, 
    Deren rüstiges Schiff der Erdumgürter Poseidon 
    Mitten im Meere durch Sturm und geschwollene Fluten zerschmettert; 
    Wenige nur entflohn dem dunkelwogenden Abgrund,
    Schwimmen ans Land, ringsum vom Schlamme des Meeres besudelt, 
    Und nun steigen sie freudig, dem Tod entronnen, ans Ufer:
    So erfreulich war ihr der Anblick ihres Gemahles;
    Und fest hielt sie den Hals mit weißen Armen umschlungen.
     
    Aus Odyssee, Homer Übers, v. Johann Heinrich Voss

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