Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
Kapitel 1
» Warten Sie, Brigadier, sind Sie gerade dabei mir zu erzählen, dass Sie alle den Abend des 14. Juli, des französischen Nationalfeiertags, damit zugebracht haben, um die gehenkte Leiche herumzutanzen und mit Stöcken auf Sie einzudreschen?«
» Ja, aber wir wollten nur Spaß haben, wir haben uns nichts Böses dabei gedacht.«
In dem unschuldigen Blick des Brigadier lag ein seltsamer Ruf nach Verständnis. Kommissarin Viviane Lancier reagierte darauf mit einem Schulterzucken und vertiefte sich wieder in ihre Notizen.
» Ich wiederhole Ihre Aussage. Dieser Abend war der letzte, den Sie als normaler Tourist in diesem Ferienclub auf der Insel Rhodos verbringen wollten. Nach dem Essen sind Sie mit den anderen Sommergästen ins Amphitheater gegangen, wo eine Aufführung stattfinden sollte, ist das richtig?«
» Genau. Wir waren alle gut drauf. Zum Nationalfeiertag hatte man uns Schaumwein serviert, so viel wir wollten, den guten italienischen, nicht den griechischen.«
» Als Sie dort ankamen, war es schon dunkel. Die Organisatoren hatten das bengalische Feuer entzündet, hinter dem die Bühne nicht zu erkennen war. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, wurde der Scheinwerfer eingeschaltet, und Sie haben die hängende Leiche des Ferienclubchefs entdeckt…«
» Ja, Commissaire, er war am großen Mast aufgeknüpft, in fünf Metern Höhe. Er schaukelte sanft über der Bühne. Man muss zugeben, dass er beeindruckend aussah, in seiner königlichen Aufmachung mit seiner goldenen Tunika und seiner Krone. Wir haben geklatscht, wir dachten, das sei eine falsche Leiche, verstehen Sie?«
» Bis hierhin ja. Aber mit dem, was dann kommt, tue ich mich schwer.«
» Ich weiß. Sogar wir waren anfangs ein bisschen verlegen, als sich der Clown, verkleidet als Sansculotte, zu Füßen der Leiche schieflachte. Er war hemmungslos, machte unmögliche Witze und zeigte dabei mit dem Finger auf die Leiche. Dann forderten die Animateure des Clubs uns dazu auf, zum Galgen hinunterzugehen. Sie haben Musik laufen lassen und uns dazu aufgefordert, eine republikanische Carma gno le zu tanzen.«
» Was die Republik nicht alles über sich ergehen lassen muss. Dann hat man lange Bambusstöcke an Sie verteilt und Sie dazu ermutigt, auf den Gehängten einzuschlagen. Und Sie, als Polizeibeamter, haben gehorcht, wie die anderen– ohne sich Fragen zu stellen?«
» Das kam uns gar nicht in den Sinn, Commissaire. Ich würde sogar sagen, dass wir damit erst so richtig in Fahrt gekommen sind.«
Die Kommissarin zog es vor, dem amüsierten Blick des Brigadier auszuweichen. Sie drehte sich nach rechts und nach links, zum Premierminister und dann zum allmächtigen Kriminaldirektor, der ihr ein Zeichen gab, damit sie zum Schluss kam. Ihr sollte es recht sein. » Haben Sie dem nichts hinzuzufügen, Brigadier?«
» Im Nachhinein fällt einem die Kritik natürlich leicht. Man kann es damit halten, wie man will, aber es ist doch verrückt, dass ich auf eine griechische Insel gehen musste, um einen 14. Juli so ausgelassen zu feiern. Sie werden mir sagen, dass es auch verrückt war, ihn so zu feiern, dabei haben wir nur mit den anderen mitgemacht…«
» Seien Sie still«, befahl die Kommissarin. » Sie widern mich an.«
Kommissarin Viviane Lancier war keineswegs angewidert. Sie hatte in ihrem Beruf schon Schlimmeres gehört. Sie hatte nur gerade einen schönen Abend und wollte nicht, dass man ihr den mit irgendwelchen Geschichten von Gehängten und Stockschlägen verdarb.
Ja, es war wirklich ein schöner Abend.
Dabei hätte er um ein Haar schlecht angefangen: Priscilla Smet, diese Pest, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums, hatte Viviane gegen 16 Uhr angerufen.
» Ich kann Lieutenant Augustin Monot nicht erreichen. Ist er zufällig bei Ihnen?«
» Warum sollte er bei mir sein? Sein Genesungsurlaub endet erst heute Abend, mit Überreichung der Medaille.«
» Ich dachte, er treibt sich vielleicht bei Ihnen herum, um seinen Freunden einen Besuch abzustatten.«
» Sich bei mir herumtreiben– bei der Arbeit, die wir haben? Das würde keiner wagen. Und wenn Lieutenant Monot hier bei uns wäre, würde er zuerst bei mir vorbeikommen. Die Kommissarin der 3. Pariser Kriminalabteilung bin ich, bis auf weiteren Befehl.« Viviane biss sich auf die Lippen. Das » bis auf weiteren Befehl« war ihr herausgerutscht. Seit ihrem letzten Fall stand sie auf dem Prüfstand, sie sollte es nicht schlimmer machen. Dieses Luder von
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