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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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einer Luxusmarke aufbauen.
    Die Ampel springt um. Nur ein Dutzend Autos kommt über die Kreuzung von fünf Straßen, bevor wieder alles stillsteht, was zu einem Aufschrei von wütendem Gehupe führt. Ich schließe die Seitenscheiben und das Schiebedach, genieße es, wie das Glas das Geschmetter dämpft. Ich habe es nicht eilig. Ich bin zu Hause. Dies ist meine Stadt, mein Boston. Das Citgo-Schild mit seinem großen roten Dreieck winkt mir grüßend zu.
    Ich schnappe mir mein Mobiltelefon, drücke Thomasinas Kurzwahl und halte mir das Telefon ans Ohr. Sie und Noah sind gestern Abend aus New Hampshire zurückgekommen. Nach einem etwas schwierigen Anfang haben sie sich offensichtlich gut im White Mountain Hotel and Resort eingelebt und wollten schließlich weder die atemberaubende Aussicht, die Bäderlandschaft und alle anderen Annehmlichkeiten missen noch eine geplante Heuwagenfahrt durch die Berge absagen. Also blieben sie ein bisschen länger als nötig. Noah ist heute wieder zur Schule gegangen.
    Parnell und ich haben heute Morgen ausgeschlafen, noch lange im Bett gelegen und dann wunderbar gefrühstückt. Er will den Tag damit zubringen, einen Artikel über Caridad Jaeger zu schreiben, bevor er nach Falmouth fährt, um ihr zu sagen, dass ihre Anschuldigungen gegen ihren Ehemann nun endlich bewiesen werden können. Ich weiß nicht, was auf lange Sicht mit Caridad passieren wird, aber zumindest kommt ihre wahre Geschichte ans Licht.
    Als ich gegen Mittag die Wohnung verließ, flogen die fünf Finger von Parnells gesunder Hand über die Tastatur, als wären es zehn. Ich habe ihm einen Kuss auf seine unrasierte Wange und die Locken seines ungekämmten Haares gedrückt. Er hat es kaum registriert, so vertieft war er. Was ich ihm gern verziehen habe, denn wir hatten den Morgen damit verbracht, jeden Zentimeter des anderen zu registrieren, hatten uns erkundet wie echte Abenteurer und unsere egoistischen Ansprüche ganz klar abgesteckt. Ich habe seinen Geruch immer und immer wieder eingeatmet, mich davon füllen lassen. Man kann es nicht beschreiben. Es wird ihn auf dieser Welt nicht noch einmal geben, und er könnte niemals abgefüllt und verkauft werden. Es ist einfach nur er, Parnell. Eine einzigartige Alchimie von Zellen, Flüssigkeiten, Enzymen, Antikörpern, Schweiß. Die Signatur seines Körpers in unauslöschlicher Tinte auf einem neuen leeren Blatt meines Herzens, das für immer und ewig seines sein wird.
    Ich spüre seine Hand auf meinem Hintern, die pralle Feuchtigkeit seiner Lippen und ertrinke fast in der Erinnerung an das Gefühl – als das Klingeln in meinem Mobiltelefon von Noahs Stimme abgeschnitten wird.
    »Hallo?«
    »Noah. Hi. Ich bin’s, Pirio.«
    »Oh, hi. Wie geht’s dir?«
    »Bestens, danke. Und dir?«
    »Ziemlich gut.«
    »Hast du deine Ferien genossen?«
    »Oh, ja. Das war voll cool. Das Hotel, in dem wir waren, hatte ein Spielzimmer und einen beheizten Pool. Ich hatte eine Tauchermaske und einen Schnorchel, und ich bin ohne Sattel auf einem Pferd geritten.« Kurze Unterbrechung. »Meine Mom hat gesagt, du hättest die Leute gesucht, die in das Boot von meinem Dad gekracht sind.«
    »Stimmt.«
    »Und? Hast du sie gefunden?«
    »Nein, das habe ich nicht. Es tut mir leid, Noah. Ich hab mein Bestes gegeben.« Von den Narwalen und den speziellen Fahrten der Sea Wolf werde ich ihm nie erzählen. Sein Vater hat eine falsche Entscheidung getroffen. Er hat versucht, seinen Fehler zu korrigieren, ist aber nur den halben Weg gegangen und hat schließlich einen schlechten Deal gemacht, der ihn auf den Meeresgrund führte. Er hatte nur halb so viel Courage, wie er brauchte; was Thomasina schon immer wahnsinnig gemacht hat. Aber er ist ein guter Dad gewesen. Noah hat seine Scheibe eines Narwal-Stoßzahnes, von der er denkt, es sei ein Walknochen. Er hat glückliche Erinnerungen an Spiele der Red Sox und Bruins und wie Ned ihn auf der Schaukel anstieß. Er hat eine starke Hand auf der Schulter gespürt, zumindest manchmal. Das ist mehr als nichts. Es war echte Liebe. Heilig. Nichts, was angekratzt werden dürfte.
    »Ist schon okay. Die werden schon noch auftauchen«, sagt Noah fröhlich. Reflexiver Optimismus ist seine schwache Barriere gegen das niederschmetternde Universum des Unsinns.
    »Hast du oder habt ihr vielleicht Lust auf ein Abendessen?«, frage ich.
    Noah hält den Hörer ungefähr fünfzehn Zentimeter von seinem Mund weg und brüllt MO - OM? den Flur hinunter.
    » WAS DENN ?«, höre ich

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