Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
beispielsweise durch eine offene Tür ein Schlafzimmer mit einem gemachten Bett erspähen oder ein Bad mit schwarz-weißen Fliesen und einem Bidet aus Onyxmarmor, andere Räume waren dagegen eindeutig Büros, mit tristen Amtsschreibtischen und -stühlen und blaugrauen Aktenschränken.
»Buckmaster« nannte der Mann sich. Das war offensichtlich ein Deckname. Kein Mensch konnte ernsthaft Buckmaster heißen. Das roch förmlich nach einem John-Buchan-Thriller. Mr Standfast. »Ich habe mir die Freiheit erlaubt, Ihrem Vater persönlich zu schreiben, wo Sie doch noch so jung sind und so weiter. Ich habe ihm versichert, dass wir, so gut wir können, auf Sie aufpassen werden, aber er wird sich wohl kaum etwas vormachen lassen. Ich meine, er weiß mit Sicherheit, dass diese Art von Arbeit gefahrvoll sein kann.«
Er nickte düster. Man konnte spüren, wie ihm das Wort noch einmal durch den Kopf ging. Gefahrvoll. Es hörte sich so altertümlich an. Sein Deckname wirkte dynamischer als der Mann selbst: Er hatte schütteres Haar, ein fliehendes Kinn und feminine Lippen. Irgendwie war er nicht unbedingt vertrauenerweckend.
»Darf ich fragen, wie diese Organisation eigentlich heißt?«, fragte Marian.
»Ähm.« Er blickte verlegen. »Um ehrlich zu sein, werden hier nicht allzu viele Fragen gestellt.«
»Verzeihung«, sagte Marian, »aber ich dachte, ich sollte es wissen.«
»Nein, Sie müssen sich nicht entschuldigen. Das ist ganz verständlich. Aber uns ist es lieber so. Je weniger wir über einander wissen, desto besser.« Er lächelte sie an. »Natürlich wissen wir eine ganze Menge über Sie, aber das müssen wir ja schließlich, oder? Sie dagegen müssen nicht viel über uns wissen. Nur das Nötigste, Sie verstehen?«
Verstand sie das? Eigentlich nicht. Sie fand es albern, einen Namen zu haben und ihn dann geheim zu halten.
»Nun denn, ich will Sie nicht länger aufhalten. Jetzt, wo wir uns kennengelernt haben, denke ich, ist es an der Zeit, Sie an Miss Atkins zu übergeben.«
Miss Atkins war eine elegante Frau mit einer leicht arroganten Miene. Sie forderte Marian auf, Platz zu nehmen, bot ihr Tee und Kekse an und musterte sie mit einem Ausdruck unterkühlter Neugier, als überlegte sie, sie als Küchenhilfe oder dergleichen einzustellen. Wenn der groß gewachsene Colonel in dieser eigenartigen Welt den König darstellte, dann war diese Frau eindeutig die Königin. »Sie sind sehr jung«, stellte sie fest. »So ziemlich eine der Jüngsten, die wir bislang angeworben haben.« Ihre Stimme hatte etwas Unnatürliches an sich, etwas Angestrengtes und Falsches, als ob die sorgsam artikulierten Silben ihr nicht selbstverständlich über die Lippen kämen, sondern speziell für diesen Anlass erlernt worden waren. »Einige vom Bewertungsausschuss fanden, Sie seien zu unreif für das, was uns vorschwebt. Doch Colonel Buckmaster und ich haben beschlossen, Sie ungeachtet dieser Einschätzung für die Ausbildung zu empfehlen. Wir werden Ihre Fortschritte daher aufmerksam verfolgen.«
»Das hört sich ja an, als würde ich wieder in die Schule gehen.«
»Genauso ist es. Und Sie haben allerhand zu lernen.«
»Wann geht es los?«
»Sofort. Das Erste ist Ihr Rang bei der WAAF . Uns ist es lieb, wenn unsere Leute Offiziersränge bekleiden. Dann haben sie in Frankreich höheres Ansehen. Wir lassen Ihre Beförderung zum Section Officer umgehend in die Wege leiten.«
»Offizierin!«
»Richtig. Doch aus etlichen Gründen, auf die ich nicht näher eingehen möchte, legen wir Wert darauf, dass sich alle unsere jungen Frauen der FANY anschließen.«
» FANY ? Was um alles in der Welt ist die FANY ?«
»Ein Frauensanitätskorps – die Abkürzung steht für First Aid Nursing Yeomanry. Dort werden Sie den Rang eines Fähnrichs bekleiden und selbstverständlich die Uniform …«
»Aber ich bin doch schon bei der WAAF . Gerade haben Sie gesagt, ich würde Section Officer.«
Atkins klopfte mit dem Finger auf den Schreibtisch, als wollte sie sie zur Ordnung rufen. »Das ist lediglich ein Ehrenrang. Er bringt Ihnen eine entsprechende Besoldung und einen gewissen Status, wenn Sie im Einsatz sind. Aber solange Sie bei uns bleiben, sind Sie eine FANY . So handhaben wir das nun mal. Habe ich mich klar ausgedrückt? Sie erhalten Ihre Uniform umgehend.« Sie hielt inne, musterte die junge Frau. »Es ist meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, dass alles, was von nun an passiert, ja, alles, was seit Ihrem ersten Gespräch mit Mr Potter passiert
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