Die Frau, für die ich den Computer erfand
Fernsehen auszusperren … Aber ich bitte Sie, Herr von Karajan ist kein Argument! Und wenn er fünfhundert Filme von sich am Pult hat machen lassen, von vorn und von hinten, von unten und oben und schrägseitwärts, mit allen fünfhundert Sinfonien, die er je dirigiert hat. Mit Karajan beleidigen Sie mich … Hat Karajan etwa die Musik erfunden? … Na, sehn Sie … Lassen Sie mich doch auch mal eitel sein. Karajan kennen alle, mich kennt fast niemand, da hab ich wohl das Recht, Sie mit der Nase auf einen gewaltigen Unterschied zu stoßen. Ich erfinde, ich entwickle Algorithmen, Karajan entwickelt keine, er lässt Algorithmen abspielen, das muss mal so bescheiden gesagt werden. Da haben wir es wieder, Kunst wird überschätzt, und die Kunst des Ingenieurs, desErfinders wird unterschätzt, grausam unterschätzt. Nur weil es unsere Kunst ist, uns zu verstecken hinter der Funktion der Maschine … Schon gut, ich verzeihe Ihnen, dass Sie mich mit einem Dirigenten verglichen haben. Sie wollten mir schmeicheln, was Karajan für die Noten, bin ich mit den Zahlen … Lassen wir das … Ich würd gern Nachtisch bestellen, Sie auch? … Nett von Ihnen, dass Sie mich überreden wollen, zur Konkurrenz zu gehen. Ja, das werd ich noch mal überlegen, vielleicht lass ich mich doch auf ein viertes Gespräch ein vor der Kamera. Wenn heutzutage alles ins Fernsehen kommt, jedes Geplapper, jedes Gezappel von völlig unfähigen Selbstdarstellern, mehr Schüsse pro Stunde als ein Durchschnittsmensch in achtzig Jahren erlebt, und jede halb- oder viertel- oder achtelinteressante Lebensgeschichte, dann doch meine erst recht, bitteschön. Dann muss ich diese Tortur wohl auf mich nehmen … Ich fürchte, Sie haben recht. Besser ich mach das selber, als dass andere an mir herumdeuteln, meine alten Freunde und früheren Mitarbeiter, nichts gegen die, oder irgendwelche Menschen, die mich einmal von weitem gesehen haben und sich nun im Scheinwerferlicht sonnen, Zeitzeugen. Alle sind plötzlich Zeitzeugen, aber der beste Zeitzeuge über mich bin doch immer noch ich! Sie haben recht, besser mach ich das selber … Nicht dass man Sie befragt als Zeitzeugen in zwanzig Jahren, nur weil wir dieses Interview gemacht haben. Ausgerechnet Sie, der nichtsversteht von Mathematik und Technik und allem, da sollte ich doch lieber selber was für die Archive aufzeichnen lassen, da haben Sie recht … Aber was red ich von Zukunftsprojekten, der Abend ist viel zu schön dafür. Lassen Sie uns den Augenblick genießen, den berühmten Augenblick. Alles wird langsamer, die Schatten länger … Verweile doch, diese Melodie könnte ich auch singen … Wissen Sie, mein ganzes Leben lang hab ich versucht, ein Romantiker zu werden. Hab in mich hineingelauscht, hab meine Gefühle geöffnet, wenn Wälder rauschen, Bächlein plätschern und der Mond seine Bahn zieht … Und hab immer erwartet, dass ich innerlich tief ergriffen werde. Nichts da, nur beim Mond, beim Vollmond funktioniert das hin und wieder … Nun wissen Sie, warum ich eine Vollmondnacht ausgesucht habe … Also vorwärts auf der Pirsch zu meinen Geheimnissen, aber langsam, immer schön langsam, so bleiben wir beim Thema, auch wenn wir abschweifen. Die Eile ist des Teufels, und wenigstens im Greisenalter darf ich da etwas Abstand halten … Ja, der bin ich, ein Freund der Geschwindigkeit, ein Feind der Eile …
(Himbeeren)
Jetzt aber der Nachtisch! … Diesmal werd ich mich hüten, Ihnen was zu empfehlen. Ich nehme Vanilleeis mit frischen Himbeeren. Die Himbeerzeithört langsam auf, das müssen wir ausnutzen, da brauch ich gar nicht auf die Karte zu gucken. Ich schwärme für die hessischen Himbeeren … Dann auch polnische … Ich muss halt immer an unsere Himbeerhecke denken, hinter der Werkstatt … Ja, als wir anno Neunundvierzig hierherkamen nach Neukirchen, als Bayern-Flüchtlinge, als Berlin-Flüchtlinge, mit dem ersten Computer der Welt im Gepäck, und die Firma aufgebaut haben in der alten Poststation … Und im ersten Frühsommer, als die Himbeeren reif wurden, Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich da war … Zum ersten Mal eine eigene Wohnung, eine Familie, zum ersten Mal eine Werkstatt, die nicht jede zweite Nacht mit Bomben beschmissen wurde. Zum ersten Mal das Gefühl, du bist angekommen, endlich, die Odyssee des Krieges und des Nachkriegs ist so langsam vorbei … Verstehen Sie, wir konnten Himbeeren
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