Die Frau im Fahrstuhl
Bogen des Atlas und am Axis… also dem zweiten Halswirbel, auf. Der Fortsatz wies Frakturen auf. Knochensplitter sind in das verlängerte Mark eingedrungen. Die Blutung in der Medulla oblo… also dem verlängerten Mark, war massiv, und der Tod dürfte so gut wie augenblicklich eingetreten sein. Die Art der Verletzung deutet darauf hin, dass der obere Teil des Nackens gegen die Kante einer Treppenstufe schlug.«
Yvonne Stridner nahm die Brille ab und rieb sich mit dem Zeigefinger das eine Auge. Mit einem Seufzer setzte sie die Brille wieder auf. Sie sah Irene unverwandt an.
»Aber auch andere Auffälligkeiten an ihrem Körper sprechen eine deutliche Sprache. Blaue Flecken. Überall, aber hauptsächlich an Armen und Beinen. Wie Sie wissen, war sie frisch operiert, ein Armbruch. Ich ließ mir die Krankenakte aus der Orthopädie kommen. Der behandelnde Arzt hatte diese blauen Flecken in der Akte notiert. Eindeutiger Verdacht auf Misshandlung, aber Evalis hat es abgestritten. Sie gab einem Sturz in einem Segelboot die Schuld. Aber keine der sichtbaren Verletzungen deutet auf einen Sturz hin. Obwohl die meisten schon mindestens eine Woche alt sind, kann man deutlich die Abdrücke von Fingern erkennen. Sie ist sowohl mit der Faust als auch mit der flachen Hand geschlagen worden. Außerdem war sie gefesselt. Hand- und Fußgelenke weisen die Abdrücke eines Seils auf.«
Irene sah Evalis’ Mann vor sich. Groß und kräftig, sicher auch sehr stark. Seine kalten, eisblauen Augen und sein aggressiv vorgeschobenes Kinn. Sie hatte Recht gehabt. Lars Svensson war nicht koscher.
Yvonne Stridner seufzte erneut und sagte bedrückt: »Wirklich nicht angenehm, sich vorzustellen, was Hillevis Schwester vor ihrem Tod durchgemacht haben muss. Wie gesagt sind Hillevi und ich sehr gut befreundet.«
»Und nichts deutet darauf hin, dass er nachgeholfen hat?«, fragte Irene.
»Nein. Sie können sich darauf verlassen, dass ich dieser Möglichkeit eingehend nachgegangen bin!«
Der harte Zug um den Mund der Pathologieprofessorin reichte, um Irene davon zu überzeugen. Hätte es das geringste Indiz für einen Mord gegeben, hätte Yvonne Stridner es gefunden. Es war eine große Enttäuschung, dass ihr das nicht gelungen war. Irgendwie hatte Irene erwartet, dass Lars Svensson seine Frau die Treppe hinuntergeworfen hatte. Das hätte zu dem gepasst, was sie vorab über seine Aggressivität und die beiden Anzeigen wegen Misshandlung der Ehefrau gehört hatte. Außerdem stimmte etwas mit seiner Persönlichkeit nicht… Wahrscheinlich würden sie über den schweren Verdacht nicht hinauskommen. Sie konnten ihm einfach nichts beweisen.
Lars Svensson nervte es wahnsinnig, als es an der Tür klingelte. Er war gerade auf dem Weg zur Arbeit und wollte sich bei seinen Morgenritualen nicht stören lassen. Deswegen erwog er, nicht aufzumachen. Gleichzeitig verspürte er eine gewisse Unruhe sowie Neugier. Wer klingelte um diese Tageszeit an seiner Tür? Es bestand die Gefahr, dass es wieder die Polizei war.
Widerwillig stand er auf und ging in die Diele. Vorsichtig öffnete er die Haustür einen Spaltweit. Er war vollkommen verblüfft, als er die Person auf der Treppe sah.
Eine Asiatin! Sie war nicht sehr groß, dafür aber kräftig. Das Gesicht wurde von einer Brille mit einem klobigen Gestell beherrscht. Das Haar war unterhalb der Ohren gerade abgeschnitten und schon grau. Sicher war sie bereits in seinem Alter. In der einen Hand hielt sie einen Eimer und einen Mopp. Auf dem Rand des Eimers hingen ein Paar gelbe Putzhandschuhe und ein Putzlappen.
»Guten Molgen. Flau Svensson zu Hause?«, sagte die Frau mit starkem Akzent auf Schwedisch.
Molgen? War sie aus China? Dort konnten sie doch kein R aussprechen? Oder waren das die Japaner? Einen Augenblick lang geriet Lars Svensson etwas durcheinander.
Er nahm sich zusammen und öffnete die Tür etwas weiter.
»Frau Svensson? Nein, sie ist nicht zu Hause. Was wollen Sie?«, fragte er barsch.
Die Frau trat einen Schritt zurück, ehe sie antwortete.
»Flau Svensson angelufen, wegen Putzen. Sie Alm geblochen.«
Putzen? Hatte Evalis eine Reinigungsfirma angerufen, ohne ihn zu fragen? Er wurde wütend, fing sich dann aber rasch. Das wirkte in der Tat logisch. Sie hatte gesagt, sie könne mit dem operierten Arm nicht so wie immer putzen. Deswegen hatten sie einen Wortwechsel gehabt am letzten Morgen, ehe sie… fiel. Die Küche war dreckig gewesen, und er hatte zu ihr gesagt, sie hätte sauber zu sein,
Weitere Kostenlose Bücher