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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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Erdgeschoss Zimmer um Zimmer abschritt, um die Rollläden herunterzulassen und um sich zu vergewissern, dass die Feuer alle erloschen waren, begab ich mich in das Zimmer, in dem ich gearbeitet hatte, und steckte das Bündel Briefe ein. Dann ging ich in den ersten Stock, um meine eigenen Sachen zu holen. Ich hatte keine Angst mehr, denn ich war dabei, Eel Marsh House zu verlassen, wenigstens vorerst, und zudem hatte Mr. Dailys Gegenwart eine beruhigende Wirkung auf mich. Ob ich je wieder hierherkommen würde, wusste ich nicht, aber wenn, dann ganz gewiss nicht allein. Deshalb war ich völlig ruhig, als ich oben ankam und in »mein« Zimmer ging. Die Ereignisse der vergangenen Nacht schienen lange zurückzuliegen und hatten keine größere Macht über mich als ein besonders schlimmer Alptraum. Ich packte rasch meine Tasche, schloss das Fenster und ließ den Rollladen herunter. Auf dem Boden lagen die Teile der zerbrochenen Taschenlampe. Ich schob sie mit dem Fuß in eine Ecke. Alles war still. Seit dem Morgengrauen hatte der Wind nachgelassen. Doch wenn ich die Augen schloss, konnte ich sein Stöhnen und Heulen und all das Rütteln und Schlagen der vergangenen Nacht wieder hören. Und obwohl dies zu meiner Beklemmung beigetragen hatte, war ich durchaus imstande, diese zufälligen Begebenheiten – den Sturm, das Klopfen und Knarren und die Dunkelheit – von den gespenstischen Ereignissen und der Atmosphäre zu unterscheiden, die von ihnen ausgegangen war. Das Wetter mochte sich ändern, der Wind abflauen, die Sonne scheinen, Eel Marsh House still und ruhig stehen – es wäre trotzdem nicht weniger gespenstisch. Wer immer hier spukte und welch schreckliche Gefühle sie dazu bewegten, würde weiterhin jeden, der in die Nähe kam, beunruhigen und ängstigen, das wusste ich.
    Ich nahm meine Sachen und verließ das Zimmer. Als ich den Treppenabsatz erreichte, blickte ich wider Willen und nicht ganz ohne ein beklemmendes Gefühl den Gang entlang, der zum Kinderzimmer führte. Die Tür stand halboffen. Ich spürte, wie die Panik, die unmittelbar unter der Oberfläche lag, wieder in mir aufstieg und mein Herz zum Rasen brachte. Unten hörte ich Mr. Dailys Schritte und das Tapsen der Hündin, die ihm folgte. Beruhigt durch die Gegenwart der beiden, ging ich vorsichtig auf die halboffene Tür zu. Ich zögerte, als ich sie erreichte. Die Frau in Schwarz war hier gewesen. Ich hatte sie gesehen. Wer immer sie war, hier war der Mittelpunkt ihrer Suche oder ihres Hasses oder ihres Leides – was genau, konnte ich nicht sagen. Hier war das Herz des Spuks.
    Kein Laut war zu hören. Der Schaukelstuhl stand still. Ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter, schob ich die Tür weiter auf und tat ein paar Schritte, bis ich das ganze Zimmer im Blick hatte. Es sah aus, als hätte eine Bande von Einbrechern gewütet, die nur auf sinnlose Zerstörung aus gewesen waren. Während das Bettchen zuvor ordentlich gemacht gewesen war, waren die Bezüge nun heruntergerissen und lagen verstreut auf Bett und Boden. Die Schranktür und die Schubläden der kleinen Kommode standen offen, und die Kleidungsstücke waren halb herausgezerrt, so dass sie wie die Eingeweide eines aufgeschnittenen Körpers heraushingen. Die Spielsoldaten waren wie von einer Kegelkugel niedergestreckt, die hölzernen Tierfiguren der Arche Noah lagen wild verstreut, Bücher waren aufgeschlagen und ihre Einbände zerrissen. Die Schachteln von Puzzles und Spielen waren mitten auf dem Boden ausgeleert. Plüschtiere waren aufgeschlitzt, die Zinnfigur wie von einem Hammer zerschmettert. Das Nachttischchen und das kleine Regal waren umgekippt. Und der Schaukelstuhl war in die Mitte des Raums geschoben worden und blickte mit seiner hohen Lehne grübelnd auf die sinnlose Verwüstung hinab. Ich durchquerte das Zimmer und ging zum Fenster, denn vielleicht waren hier wirklich Vandalen eingestiegen. Aber das Fenster war fest verschlossen und das Gitter unbeschädigt. Niemand hätte hier eindringen können.

    Als ich mit weichen Knien in Mr. Dailys Einspänner stieg, der vor der Haustür wartete, stolperte ich, und er fasste mich rasch am Arm, um mich zu stützen. Ich bemerkte, dass er mich forschend anblickte und an meiner Blässe erkannte, dass ich erneut einen Schock erlitten hatte. Aber er sagte nichts, wickelte mir nur eine warme Decke um die Beine und setzte Spider auf meinen Schoß, der Wärme wegen und zur Beruhigung für uns beide. Dann schnalzte er dem Pferd zu, und es machte

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