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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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hinüberzugehen, musste mich jedoch jedes Mal zurückrufen, um nicht selbst zu versinken. Ich wünschte, ich hätte einen Stock gehabt, mit dem ich ihr Halsband hätte erreichen können. Ich verspürte eine Sekunde pure Verzweiflung, so allein mitten in der weiten Marsch, unter dem sturmbewegten Himmel, umgeben von nichts als Wasser, in dem dieses schreckliche Haus die einzige Geborgenheit bot. Aber mir war klar, wenn ich mich der Panik hingäbe, wäre das zweifellos mein Ende. Meine Gedanken überschlugen sich, und schließlich legte ich mich ganz vorsichtig in voller Länge auf den Schlamm und drückte meinen Unterkörper, so fest ich konnte, auf eine kleine Insel festen Bodens. Zentimeter um Zentimeter streckte ich die Arme und den Oberkörper vorwärts, und gerade als die Hündin versank, schnellte ich vor, fasste sie um den Hals und zog mit aller Kraft, einer Kraft, die ich nie für möglich gehalten hätte, einer Kraft der Angst und Verzweiflung. Nach einer gewissen Zeitspanne, während der wir um unser Leben und gegen den tückischen Schwemmsand kämpften, der uns beide verschlingen wollte, und das nasse Fell des Hundes meinem Griff fast entglitt, spürte ich plötzlich, dass ich es schaffen würde. Mit aller Kraft versuchte ich, mich rückwärts auf den festeren Boden zu schieben. Und plötzlich löste sich der Körper der Hündin aus dem Griff des Sandes, und ich zog sie an mich. Ich rutschte weiter zurück und hielt sie fest an mich gedrückt. Beide waren wir völlig durchweicht von Wasser und Schlamm. Meine Brust brannte, meine Lunge drohte zu platzen, und meine Arme fühlten sich an, als wären sie ausgekugelt.
    Keuchend und erschöpft lagen wir einfach da. Ich fragte mich, ob ich je imstande sein würde, wieder aufzustehen. Mir war plötzlich schwindelig vor Schwäche. Die arme Hündin würgte und rieb immer wieder ihren Kopf an mir; zweifellos hatte sie außer schrecklicher Angst auch ziemliche Schmerzen, denn ich hatte sie fast erwürgt. Aber sie lebte, und ich lebte, und allmählich verliehen uns unsere gegenseitige Körperwärme und die Pause neue Kraft. Ich nahm Spider wie ein Kind auf den Arm und begann, über die Marschen zum Haus zurückzustolpern. Einige Meter davor blickte ich auf. An einem der oberen Fenster, dem einzigen vergitterten, dem Fenster des Kinderzimmers, sah ich jemanden stehen. Eine Frau. Die Frau! Sie blickte mich unverwandt an.
    Spider winselte auf meinen Armen und hustete ein paarmal würgend. Wir zitterten beide heftig. Wie ich die Grasfläche vor dem Haus erreichte, werde ich wohl nie wissen, aber als es mir gelungen war, hörte ich ein Geräusch. Es kam vom fernen Ende des Damms, der allmählich sichtbar wurde. Es war das Geräusch eines Pferdewagens.

Ein Bündel Briefe
    I ch starrte in ein blendendes Licht – oder vielmehr hatte ich das Gefühl, als würde es sich in mich hineinbohren, durch meine Augen geradewegs in mein Gehirn. Ich versuchte, den Kopf abzuwenden, der sich unwahrscheinlich leicht anfühlte, gar nicht auf meinen Schultern zu sitzen, sondern durch die Luft zu schweben schien wie Löwenzahnfallschirmchen in einer warmen Brise. Plötzlich verschwand das Licht, und als ich die Augen öffnete, sah ich ganz gewöhnliche Dinge. Ich stellte fest, dass ich auf der Couch im Damensalon lag und das rote Gesicht von Mr. Daily besorgt auf mich herabblickte. In der Hand hielt er eine Taschenlampe, mit der er mir wohl in einem etwas plumpen Versuch, mich wach zu kriegen, in die Augen geleuchtet hatte. Ich setzte mich auf, doch sofort kamen mir die Wände wankend entgegen, und mir blieb nichts übrig, als mich wieder zurückzulegen.
    Von einer Sekunde auf die nächste kam alles mit einer Urgewalt zurück: die Hetze hinter Spider her über die nassen Marschen, die Anstrengung, sie zu retten, die Frau in Schwarz am Kinderzimmerfenster und diese Geräusche, die meine Angst so gesteigert hatten, dass ich die Besinnung verlor.
    »Aber der Pferdewagen …«
    »Steht vor der Haustür.«
    Ich starrte ihn an.
    »Oh, ich benutze ihn hin und wieder immer noch gern. Wenn man nicht in Eile ist, macht das Fahren mit ihm Freude. Und über den Damm kommt man mit ihm sicherer als mit einem Automobil.«
    »Ah!« Ich empfand ungeheure Erleichterung, dass die Geräusche die eines realen Pferdewagens gewesen waren.
    »Was haben Sie denn gedacht?« Er blickte mich eindringlich an.
    »Ein Pferdewagen …«
    »Ja?«
    »Ich … habe andere gehört. Einen anderen.«
    »Keckwick vielleicht«,

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