Die Frau in Schwarz
hinter mir schloss und wieder auf dem Korridor stand, fiel dieses Gefühl von mir ab wie ein Kleidungsstück, das eine Weile über meine Schultern gelegt und dann wieder weggenommen worden war. Ich war wieder ich mit meinen eigenen Empfindungen.
Unsicher kehrte ich zu meinem Zimmer zurück, fand die Streichhölzer, die ich neben meiner Pfeife und dem Tabak in meiner Jackentasche aufbewahrte, und zündete endlich die Kerze an. Als ich den Griff des Zinnleuchters hielt, zitterten meine Finger so stark, dass die gelbe Flamme flackerte und schwankte und ihr Lichtschein wie betrunken über Wände, Tür und Decke tanzte. Trotzdem war es eine Beruhigung und Erleichterung, und schließlich, als ich ruhiger wurde, brannte auch die Flamme friedlich und hell. Ich blickte auf die Uhr. Es war noch nicht ganz fünf. Ich hoffte, dass die Kerze brennen würde, bis es hell wurde, was an einem stürmischen Tag in dieser Jahreszeit spät sein würde.
In meinen Mantel gehüllt, setzte ich mich ins Bett und las Sir Walter Scott, sofern das bei dem schwachen Kerzenlicht ging. Ob es erlosch, ehe sich das erste Grau des Morgens in das Zimmer stahl, weiß ich nicht, denn ohne es zu wollen, schlief ich ein.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich wie erschlagen. Die Kerze war bis auf den letzten Wachstropfen abgebrannt, nur ein schwarzer Rußfleck war von ihr geblieben, und mein Buch lag auf dem Boden. Wieder hatte mich ein Geräusch geweckt. Spider kratzte an der Tür und winselte, und mir wurde bewusst, dass es schon viel zu lange her war, seit ich das arme Tier hinausgelassen hatte. Ich stand auf, zog mich rasch an, ging hinunter und öffnete die Haustür. Der mit Regenwolken überzogene Himmel hing tief, alles wirkte düster und farblos, und das Wasser stand hoch. Der Sturm hatte zwar aufgehört, aber es war sehr kalt. Spider trottete über den Kies zum rauhen Gras und erledigte ihr Geschäft, während ich gähnend die Arme um mich schlug und mit den Füßen stampfte, um mich ein bisschen aufzuwärmen. Ich beschloss, Mantel und Stiefel anzuziehen und einen kurzen Spaziergang zu machen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Gerade als ich mich umdrehte und ins Haus zurückgehen wollte, hörte ich von weit draußen auf den Marschen ein Pfeifen, als würde jemand nach einem Hund pfeifen. Spider blieb den Bruchteil einer Sekunde wie angewurzelt stehen, und dann, bevor ich sie zurückhalten konnte, ehe ich mich überhaupt gefasst hatte, raste sie los, als wäre sie hinter einem Hasen her. Langgestreckt jagte sie fort vom Haus, fort von der Sicherheit des Grases, und hinaus in die nassen Marschen. Einen Augenblick lang stand ich bestürzt da, ich konnte mich nicht rühren, nur starren, während Spider auf der großen, offenen Weite immer kleiner wurde. Ich konnte da draußen niemanden sehen, aber der Pfiff war da gewesen, er war keine Täuschung des Winds gewesen. Und doch hätte ich schwören können, dass er nicht von menschlichen Lippen gekommen war. Und während ich immer noch in die Ferne starrte, sah ich, dass Spider stockte, immer langsamer wurde und schließlich anhielt. Voller Entsetzen musste ich mit ansehen, wie sie im Schlamm zappelte und verzweifelt herauszukommen versuchte. Ich rannte wie nie zuvor, ohne auf meine eigene Sicherheit zu achten, verzweifelt, dem tapferen, schlauen Tier zu helfen, das mir so viel Trost und Freude an diesem trostlosen Ort geschenkt hatte.
Zuerst war der Boden fest, wenngleich schlammig unter meinen Füßen, und ich kam schnell voran. Der Wind, der über die Flussmündung pfiff, war beißend kalt, und ich spürte, wie meine Augen zu tränen begannen. Spider jaulte jetzt laut auf vor Panik, war jedoch noch zu sehen. Ich rief ihr zu, versuchte, sie zu beruhigen. Dann, als es sumpfiger wurde, begann auch ich, die Klebrigkeit und Nachgiebigkeit des Bodens zu spüren. Einmal geriet mein Bein in ein Sumpfloch und steckte fest, bis es mir mit aller Kraft gelang, es herauszuziehen. Ringsum war das Wasser angeschwollen und trüb. Der Wasserstand war mittlerweile ziemlich hoch, die Flut spülte das Wasser bereits über die Marschen, und ich konnte nur noch waten. Als ich schließlich atemlos und mit großer Anstrengung bei jeder Bewegung fast in Reichweite der Hündin kam, sah ich, dass ihre Beine und der Körper bereits bis zur Mitte in dem saugenden Sumpf verschwunden waren. Ihren schmalen Kopf hielt sie hoch, während sie strampelte und die ganze Zeit jaulte. Ich versuchte ein paarmal, zu ihr
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