Die Frau mit dem roten Herzen
Text mitsingen, der auf dem Bildschirm erscheint.«
»Ich wußte gar nicht, daß Karaoke hier so beliebt ist«, bemerkte sie.
Karaoke war Mitte der achtziger Jahre aus Japan gekommen. Ursprünglich war es auf große Restaurants beschränkt gewesen, doch dann witterten die Unternehmer ihre Chance. Sie verwandelten Restaurants in große Karaoke-Hallen und hielten sie rund um die Uhr geöffnet. Später kamen die Separees in Mode. Die Hallen wurden in viele einzelne Zimmerchen unterteilt, die hübsch ausgestattet waren und eine gewisse Privatsphäre boten. Manche Manager gingen so weit, ganze Gebäude in diesem Stil umzubauen. Und bald kamen die Leute nicht nur, um Karaoke zu singen.
Da man sich in Hotels noch immer ausweisen und eine Ehebescheinigung vorlegen mußte, waren diese Separees mit ihren geschlossenen Türen genau auf die offenkundigen, aber unausgesprochenen Bedürfnisse einer Stadt zugeschnitten, in der der Wohnraum äußerst knapp war. Hier mußten die Leute keine Peinlichkeiten über sich ergehen lassen; sie kamen einfach nur zum Singen.
Karaoke-Girls, auch als K-Fräulein bezeichnet, waren ebenfalls verfügbar. Eigentlich waren sie dazu da, mit männlichen Gästen zu singen, die nicht in weiblicher Begleitung kamen, doch welche sonstigen Dienste hinter geschlossenen Türen geleistet wurden, konnte man sich vorstellen.
An diesem Nachmittag sah Chen kein einziges K-Fräulein. Vielleicht lag das daran, daß es noch so früh am Tag war, vielleicht auch daran, daß er in Begleitung gekommen war.
Von alldem erzählte er Inspektor Rohn nichts.
Als die Hosteß die Obstplatte und die Getränke brachte, sagte er: »Wer ist Ihr Chef?«
»Generalmanager Gu.«
»Richten Sie ihm aus, er möchte zu uns kommen.«
Erstaunt fragte die Hosteß zurück. »Was soll ich ihm denn sagen?«
Chen warf Catherine einen raschen Blick zu. »Ich möchte internationale Investitionsmöglichkeiten mit ihm besprechen.«
Unmittelbar darauf erschien ein Mann in mittlerem Alter mit schwarzumrandeter Brille, der sich durch seinen Bierbauch und einen Diamantring auszeichnete. Er hielt Chen eine Visitenkarte hin: Gu Haiguang.
Chen gab ihm seine eigene Karte. Gu wirkte einen Moment lang irritiert, faßte sich aber sofort wieder und schickte die Hosteß hinaus.
»Ich möchte mich Ihnen vorstellen, Generalmanager Gu. Und das hier ist meine Bekannte Catherine. Ich wollte ihr den besten Karaoke Club in ganz Shanghai zeigen. Ich bin sicher, wir können eine Menge füreinander tun«, fügte er dann hinzu. »Wie schon ein altes Sprichwort sagt: ›Der Berg ist hoch, der Fluß ist lang.««
»In der Tat, die Zukunft birgt viele Möglichkeiten. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, noch dazu in so hübscher Begleitung. Ich habe bereits viel von Ihnen gehört, Oberinspektor Chen. Ihr Name taucht immer wieder in den Schlagzeilen auf. Ihre Anwesenheit ist eine Auszeichnung für unser bescheidenes Etablissement. Der heutige Abend geht auf Rechnung des Hauses.«
Da würde einiges zusammenkommen, dachte Chen. Ein paar Stunden in einem Separee einschließlich Essen und Getränke, das konnte sich leicht auf den Monatslohn eines Oberinspektors belaufen. Die meisten Gäste hier mußten entweder zu den Neureichen gehören oder Zugriff auf staatliche Spesenkonten haben.
»Das ist sehr zuvorkommend von Ihnen, Generalmanager Gu, aber es ist nicht der Grund meines heutigen Besuchs.«
»Wachtmeister Cai ist ebenfalls Stammgast bei uns. Er geht hier im Viertel Streife.«
Chen hatte schon von Polizisten gehört, die sich von Karaoke-Clubs freihalten ließen. Auch einem Polizisten war schließlich mal nach Singen zumute. Allerdings steigerte sich diese Art der Bestechung nach dem Schneeballprinzip.
»Als Oberinspektor möchte ich meine Arbeit möglichst gut machen«, sagte Chen und nahm lässig einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, »aber das gelingt mir nur mit Hilfe anderer.«
»So läuft das auch in unserem Gewerbe. Wie schon ein Sprichwort sagt: ›Zu Hause bist du von den Eltern abhängig, in der Fremde von guten Freunden.‹ Ich freue mich so, heute Ihre Bekanntschaft zu machen. Ihre Unterstützung ist für uns unschätzbar.«
»Jetzt, wo wir Freunde sind, Generalmanager Gu, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Aber mit Vergnügen. Ich sage Ihnen alles, was ich weiß.« Gu war die Freundlichkeit in Person.
»Hat jemals eine Triade namens Fliegende Äxte mit Ihnen Kontakt aufgenommen?«
»Fliegende Äste? Nein, Oberinspektor
Weitere Kostenlose Bücher