Die Frau mit dem roten Herzen
und griff nach dem gläsernen Schwan, der ihm als Aschenbecher diente. Er funkelte in seiner Hand wie die Kristallkugel eines Wahrsagers. »Wissen Sie, was nach Ihrem Besuch mit der Frau aus Guangxi geschehen ist?«
»Nein, warum?«
»Sie wurde von unbekannten Männern entführt; ganze zwei, drei Stunden, nachdem Sie weg waren. Später fand man sie bewußtlos in einem Wäldchen unweit des Dorfes. Keiner weiß, wer sie dort zurückgelassen hat. Obwohl sie weder geschlagen noch vergewaltigt wurde, hatte sie eine Fehlgeburt. Man hat sie umgehend ins nächste Krankenhaus gebracht.«
»Ist sie in Lebensgefahr?«
»Nein, aber sie hatte so schwere Blutungen, daß ein Eingriff nötig wurde. Sie wird keine Kinder mehr bekommen können.«
Chen fluchte kaum hörbar. »Gibt es irgendwelche Hinweise auf die Entführer?«
»Es waren keine Ortsansässigen. Sie kamen in einem Jeep und behaupteten, die Frau sei aus dem Süden geflohen. Niemand hat versucht, sie aufzuhalten.«
»Die müssen sie für Wen gehalten und freigelassen haben, sobald sie ihren Irrtum bemerkten.«
»Das ist möglich.«
»Es ist empörend! Am hellichten Tag eine schwangere Frau zu entführen, und das in Qingpu, nahe Shanghai.« Chens Gedanken überschlugen sich. Sie waren von Anfang an verfolgt worden, den ganzen Weg bis nach Qingpu. Daran gab es jetzt keinen Zweifel mehr. Der Zwischenfall mit dem Motorrad. Die durchgebrochene Treppenstufe, die Lebensmit telvergiftung. Und jetzt die Entführung von Qiao. »Nur zwei, drei Stunden nach unserem Besuch! Diese Banditen müssen Hinweise von Insidern erhalten haben. Es gibt eine undichte Stelle hier im Präsidi um.«
»Nun, zumindest schadet es nicht, vorsichtig zu sein.«
»Die haben uns den Krieg erklärt. Und dann ist da noch die Leiche vom Bund-Park. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Shanghaier Polizei! Wir müssen etwas unternehmen, Parteisekretär Li.«
»Das werden wir auch. Aber es ist eine Frage der Zeit und der Prioritäten. Augenblicklich geht die Sicherheit von Inspektor Rohn vor. Wenn wir die Triaden jetzt in die Enge treiben, könnten sie Vergeltung üben.«
»Dann sollen wir also die Hände in den Schoß legen, bis sie erneut zuschlagen?«
Auf diese Frage antwortete Li nicht. »Im Verlauf dieser Ermittlungen könnte es zu unvorhergesehenen Konfrontationen mit Bandenmitgliedern kommen. Die sind zu allem fähig. Sollte Inspektor Rohn etwas zustoßen, wäre das eine enorme Belastung für uns.«
»Eine enorme Belastung«, murmelte er und dachte an die »enormen Probleme«, von denen Minister Huang gesprochen hatte. »Aber wir sind doch Polizisten, oder?«
»So dürfen Sie das nicht sehen, Oberinspektor Chen.«
»Wie denn sonst, Parteisekretär Li?«
»Hauptwachtmeister Yu ermittelt in Fujian. Wenn Sie das für zu wenig halten, können wir jederzeit Verstärkung hinschicken«, sagte Li. »Und was die Vernehmungen hier in Shanghai betrifft, so frage ich mich, ob sie wirklich so viel bringen. Inspektor Rohn muß nicht unbedingt daran teilnehmen. Sie müssen sie lediglich auf dem laufenden halten. Ich glaube nicht, daß diese Banditen ihr zu nahe treten, wenn sie am Bund Sightseeing macht.«
»Aber sie glauben offenbar, daß Wen sich hier versteckt hält, andernfalls hätten sie die Schwangere in Qingpu nicht entführt.«
»Wenn sich neue Hinweise ergeben, kann Qian sich darum kümmern. Sie müssen sich wirklich kein Bein ausreißen. Solange Inspektor Rohn überzeugt ist, daß wir unser Bestes tun, genügt das völlig – politisch gesehen.«
»Auch ich habe mir meine Gedanken über diesen Fall gemacht – politisch gesehen. Die Beziehungen zwischen China und Amerika sind durch die Vorfälle im Sommer 1989 schwer belastet. Könnten wir Wen den U. S. Marshals planmäßig übergeben, so wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.«
Eine solche Argumentation würde Parteisekretär Li eher einleuchten. Den Anruf des Ministers erwähnte er besser nicht.
»Das ist wahr«, erwiderte Li und nahm einen Schluck von seiner Sojasprossensuppe. »Dann meinen Sie also, wir sollten Inspektor Rohn auch weiterhin an den Ermittlungen teilnehmen lassen?«
»Als Sie mich damals überredeten, den Fall anzunehmen, haben Sie Yue Fei zitiert«, sagte Chen und drückte seine Zigarette aus. »Die beiden letzten Zeilen gefallen mir am besten: Erst wenn ich Berge und Flüsse befriedet habe, / verneige ich mich vor dem Himmel.«
»Ich sehe, was Sie meinen, aber einige Leute verstehen das nicht.« Li trommelte
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