Die Frau mit dem roten Herzen
war nicht der richtige Moment, um mit einem Blumenstrauß im Hotel aufzutauchen. Nicht, nachdem die Innere Sicherheit die Sache mit der Kette zu den Akten genommen und Parteisekretär Li eine entsprechende Bemerkung gemacht hatte.
Sie arbeiteten erst wenige Tage zusammen, Catherine war seine zeitweilige Partnerin. Vielleicht war dies einer der unausgesprochenen Gründe, warum Parteisekretär Li die Reise nach Peking vorgeschlagen hatte. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Überall spielte Politik mit hinein, und alles würde nur Wasser auf die Mühlen von Parteisekretär Li sein.
Er beschloß, während der Mittagspause seine Mutter zu besuchen.
Es war nicht weit, aber er ließ sich vom Kleinen Zhou im Mercedes hinbringen. Unterwegs hielten sie am Lebensmittelmarkt. Er feilschte heftig mit den Obsthändlern, bevor er sich für ein kleines Bambuskörbchen mit kandierten Drachenaugen entschied. Dabei fiel ihm Inspektor Rohns Bemerkung über sein Geschick beim Feilschen ein.
Der Anblick des vertrauten alten Gebäudes in der Jiujiang Lu versprach eine kurze Pause von der Politik, die er jetzt dringend nötig hatte. Ein paar seiner früheren Nachbarn grüßten, als er aus dem Mercedes stieg, den er nur seiner Mutter zuliebe benutzte. Sie hatte seine Berufswahl nie gutgeheißen, doch in dieser materialistisch orientierten Nachbarschaft würden sein Kaderstatus und der Chauffeur, der ihm den Schlag öffnete, seiner Mutter Gesicht geben.
Das Gemeinschaftswaschbecken aus Beton vor dem Eingang war noch feucht. Er entdeckte dunkelgrünen Moosbewuchs, der sich im Umkreis des Wasserhahns wie eine Landkarte ausbreitete. Die rissigen Wände hätten dringend eine Generalsanierung nötig. Mehrere Löcher am Fuß der Mauer, in denen er als Kind nach Zikaden gesucht hatte, waren noch immer unverputzt. Das Treppenhaus war dunkel und roch nach Schimmel; auf den Treppenabsätzen stapelten sich alte Kartons und ausrangierte Korbstühle.
Seit er den Fall Wen übernommen hatte, war er nicht mehr bei seiner Mutter gewesen. Als er das kleine, einfach eingerichtete Zimmer unter dem Dach betrat, fand er den Tisch zu seinem Erstaunen reich gedeckt mit einer Auswahl an Brötchen, Würsten und exotisch wirkenden Gerichten in Einwegbehältern.
»Das ist alles aus dem Moscow Suburb«, erklärte ihm seine Mutter.
»Lu, der Überseechinese, kann’s nicht lassen!«
»Er redet mich mit ›Mama‹ an und nennt dich seinen Retter in der Not.«
»Die ganze Zeit reitet er auf dieser alten Geschichte herum.«
»›Ein Freund in der Not ist ein wahrer Freund.‹ Ich habe gerade in einer buddhistischen Schrift gelesen. Wir tun unsere guten Taten in dieser Welt nicht umsonst. Jede unserer Handlungen führt zu etwas, entweder zu dem erwarteten oder zu einem unerwarteten Ergebnis. Manche nennen das Glück, manche sprechen von Karma. Ein anderer Freund von dir, Herr Ma, hat mich auch besucht.«
»Wann denn?«
»Heute morgen. Der alte Mann nennt das regelmäßige medizinische Kontrolle.«
»Das ist aber sehr aufmerksam von ihm«, sagte er. »Gibt es denn Probleme, Mutter?«
»Mein Magen macht mir in letzter Zeit zu schaffen. Herr Ma bestand darauf herzukommen. Diese Treppen sind keine Kleinigkeit für einen alten Mann.«
»Und was hat er gesagt?«
»Nichts Ernstes. Ungleichgewicht von yin und yang und so weiter. Sogar die Medizin hat er mir gebracht«, sagte sie. »Genau wie Lu möchte er sich dir erkenntlich zeigen, sonst ist ihm nicht wohl. Ein Mann des yiqi.«
»Der alte Herr hat viel durchmachen müssen. Zehn Jahre für ein Exemplar des Doktor Schiwago. Was ich getan habe, war doch nicht der Rede wert.«
»Hat Wang Feng damals nicht einen Artikel über ihn geschrieben?«
»Ja, aber das war ihre Idee.«
»Wie geht es ihr in Japan?«
»Ich habe schon lange nichts mehr von ihr gehört.«
»Gibt es Neuigkeiten aus Peking?«
»Tja, Parteisekretär Li möchte mich auf Urlaub dorthin schicken«, sagte er ausweichend.
Seine Mutter war nicht glücklich über die Beziehung mit Ling, das wußte er. Die alte Dame befürchtete, daß es hoch oben im Jadepalast des Mondes / zu kalt sein könnte. Was den Dichter Su Dongpo schon vor vielen tausend Jahren beunruhigt hatte, beunruhigte jetzt sie. Doch mehr noch mißbilligte sie, daß er, noch immer unverheiratet, unaufhaltsam den Fünfunddreißig zustrebte. Wie ein altes Sprichwort sagte: ›»Alles, was im Gemüsekorb liegt, muß auch als Gemüse bezeichnet werden.‹«
»Das klingt gut«, sagte sie
Weitere Kostenlose Bücher