Die Frau mit dem roten Herzen
einen Moment lang mit den Fingern auf die Tischplatte, bevor er fortfuhr: »Einige Leute zerreißen sich das Maul, weil Sie Inspektor Rohn ein Geschenk gemacht und es ihr vor dem Hotel um den Hals gelegt haben.«
»Das ist doch absurd«, protestierte Chen und versuchte zu begreifen, was diese Information bedeutete. Einige Leute. Damit konnte nur die Innere Sicherheit gemeint sein – eine Polizei innerhalb der Polizei. Dieser winzige Anhänger war bedeutungslos, aber in einem Bericht der Inneren Sicherheit konnte er sich mit Bedeutung aufladen. – Oberinspektor Chen hat die Parteilinie verlassen und flirtet mit einer amerikanischen Geheimagentin. »Warum die Innere Sicherheit?«
»Machen Sie sich keine Gedanken, von wem der Bericht stammt, Oberinspektor Chen. Wenn Sie sich nichts vorzuwerfen haben, besteht auch kein Grund zur Beunruhigung.«
»Das war nach der Peking-Oper. Auf Ihren Vorschlag hin habe ich Inspektor Rohn zum Hotel gebracht. Am Bund versuchte ein Händler, ihr einen Anhänger zu verkaufen. Manche von diesen Straßenhändler sind darauf aus, Touristen auszunehmen; so steht es jedenfalls in den Zeitungen. Also habe ich die Kette für sie heruntergehandelt. Und sie hat mich gebeten, sie ihr umzulegen.«
Er sagte nicht, daß er sie auch bezahlt hatte. Da er nicht vorhatte, den Betrag auf seine Spesenrechnung zu setzen, wäre das für die Dienststelle ohne Bedeutung.
»Ja, die Amerikaner benehmen sich oft sehr – ungewöhnlich.«
»Als Repräsentant der chinesischen Polizei muß ich ihr gegenüber Gastfreundschaft bekunden. Ich verstehe nicht, wer zum Teufel …« Er hätte noch so manches zu sagen gehabt, doch der Ausdruck in Lis Gesicht hielt ihn davon ab. Jetzt war nicht der richtige Moment, um Dampf abzulassen; vor allem nicht, wenn die Innere Sicherheit ein Auge auf ihn hatte.
Für Oberinspektor Chen war es nicht das erste Mal.
Beim Fall mit der nationalen Modellarbeiterin mochte die Einmischung der Inneren Sicherheit noch gerechtfertigt gewesen sein. Immerhin stand damals das ewig makellose Bild der Partei auf dem Spiel. Aber bei diesen Ermittlungen hatte Oberinspektor Chen nichts getan, was den Interessen der Partei in irgendeiner Weise geschadet hätte.
Es sei denn, jemand wollte der Fahndung ein Ende setzen. Nicht im Interesse der Partei, sondern im Interesse der Triaden.
»Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber«, sagte Li. »Ich habe dem Informanten klar gesagt: Dies ist ein besonderer Fall. Was immer Oberinspektor Chen tut, das tut er im Interesse unseres Landes.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Parteisekretär Li.«
»Nicht der Rede wert. Schließlich sind Sie kein gewöhnlicher Parteifunktionär. Sie haben noch einen langen Weg vor sich.« Li erhob sich. »Ich weiß, daß es nicht einfach für Sie ist. Sie bekommen Druck von allen Seiten. Ich habe mit Dienststellenleiter Zhao gesprochen. Wir werden Ihnen nächsten Monat einen Urlaub ermöglichen. Sie sollten sich eine Woche frei nehmen. Fahren Sie nach Peking, besuchen Sie die Große Mauer, die Verbotene Stadt, den Sommerpalast. Das Präsidium übernimmt alle Kosten.«
»Das wäre sehr schön«, sagte Chen und stand ebenfalls auf. »Aber jetzt muß ich an die Arbeit. Wie haben Sie übrigens von dem Vorfall in Qingpu erfahren, Parteisekretär Li?«
»Ihr Assistent, Qianjun, hat mich gestern abend davon unterrichtet.«
»Ach so.«
Li begleitete Chen noch zur Tür und sagte, die eine Hand auf den Türrahmen gestützt: »Vor einer Woche habe ich aus Versehen Ihre alte Nummer gewählt und hatte daraufhin ein langes Gespräch mit Ihrer Frau Mutter. Wir Alten machen uns so unsere Sorgen.«
»Tatsächlich! Davon hat sie mir gar nichts erzählt.« Chen mußte immer wieder Lis Gabe bewundern, der Parteipolitik einen menschlichen Anstrich zu geben.
»Sie findet, es wäre Zeit für Sie, eine Familie zu gründen. Sie wissen schon, was die alte Dame meint. Natürlich liegt eine solche Entscheidung ganz bei Ihnen, aber ich kann ihr da nur zustimmen.«
»Vielen Dank, Parteisekretär Li.« Chen war klar, worauf Li hinauswollte. Auch der Vorschlag mit dem Urlaub in Peking ging in diese Richtung. Er hatte Ling dabei im Auge. Die Absicht mochte ehrenhaft sein,aber der Zeitpunkt war denkbar ungünstig gewählt.
Warum war Li gerade heute darauf verfallen?
Kaum hatte er das Büro des Parteisekretärs verlassen, zog Chen eine Zigarette aus der Packung, steckte sie dann aber wieder zurück. Am Ende des Korridors stand ein Wasserspender. Er
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