Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Dramen
Waren somit die Frauen aus ihrer früher leitenden Stellung entfernt, so beherrschten doch noch Jahrhunderte die mit den alten Sitten verbundenen Kultgebräuche die Gemüter, obgleich allmählich ihr tieferer Sinn den Völkern abhanden kam. Erst die Jetztzeit bemüht sich, den Sinn dieser alten Gebräuche wieder zu erforschen. So blieb es in Griechenland religiöser Brauch, daß die Frauen nur Göttinnen um Rat und Hilfe anflehten. Auch die alljährlich wiederkehrende Feier der Thesmophorien verdankte mutterrechtlichen Zeiten ihr Entstehen. Noch in später Zeit feierten die Frauen Griechenlands während fünf Tagen dieses Fest zu Ehren der Demeter, dem kein Mann beiwohnen durfte. Ähnliches geschah im alten Rom zu Ehren der Ceres. Demeter und Ceres waren die Göttinnen der Fruchtbarkeit. Auch in Deutschland fanden bis spät ins christliche Mittelalter solche Feste statt, die der Frigga galten, die bei den alten Deutschen als die Göttin der Fruchtbarkeit galt, und auch hier waren die Männer von der Beteiligung an diesen Festen ausgeschlossen.
In Athen, in dem das Mutterrecht am frühesten, aber anscheinend unter schroffem Widerstand der Frauen, dem Vaterrecht Platz machte, kommt diese Umwandlung in ihrer Tragik in Äschylus' "Eumeniden" ergreifend zum Ausdruck. Der Vorgang ist folgender: Agamemnon, König in Mykenä, Gemahl der Klytämnestra, opfert auf das Geheiß des Orakels auf seinem Zuge nach Troja seine Tochter Iphigenia. Die Mutter ist empört über die Opferung ihres Kindes, das nach Mutterrecht nicht ihrem Manne gehört, und nimmt während der Abwesenheit des Agamemnon Ägisthus als Ehemann an, wodurch sie nach altem Rechte nichts Anstößiges beging. Als Agamemnon nach vieljähriger Abwesenheit nach Mykenä zurückkehrt, wird er auf Anstiften der Klytämnestra von Ägisthus erschlagen. Orest, der Sohn Agamemnons und der Klytämnestra, rächt nun auf Betreiben Apollos und Athenes den Mord des Vaters, indem er seine Mutter und Ägisthus erschlägt. Die Erinnyen verfolgen wegen des Mordes an der Mutter Orest, sie vertreten das alte Recht. Apoll und Athene, die nach dem Mythos mutterlos ist, denn sie springt geharnischt aus dem Haupte des Zeus, verteidigen Orest, denn sie vertreten das neue Vaterrecht. Die Entscheidung kommt vor den Areopag, vor dem sich folgendes Zwiegespräch entspannt, in dem die beiden sich feindlich gegenüberstehenden Anschauungen zum Ausdruck kommen:
Erinnys: Dich hat der Seher (Apoll) angeführt zum Muttermord?
Orestes: Und noch bis jetzt nicht schalt ich über mein Geschick.
Erinnys: Doch faßt der Spruch dich, anders reden wirst du bald.
Orestes: Ich glaub's; doch Beistand schickt mein Vater aus dem Grabe.
Erinnys: Hoff' auf die Toten, der du die Mutter tötest.
Orestes: Zwiefachen Frevel lud sie auf ihr schuldig Haupt.
Erinnys: Wie das? Belehre dessen doch die Richtenden.
Orestes: Den Mann erschlug sie, und erschlug den Vater mir.
Erinnys: Du aber lebst noch, während sie den Mord gebüßt.
Orestes: Warum denn hast im Leben du sie nicht verfolgt?
Erinnys: Sie war dem Manne nicht blutsverwandt, den sie erschlug.
Orestes: Ich aber, sagst du, bin von meiner Mutter Blut.
Erinnys: Trug denn, du Blutiger, unter ihrem Herzen sie dich nicht?
Verschwörst du deiner Mutter teures Blut?
Die Erinnyen erkennen also kein Recht des Vaters und des Ehemannes an, für sie besteht das Recht der Mutter. Daß Klytämnestra den Gatten erschlagen ließ, erscheint ihnen gleichgültig, denn er war ein Fremder; dagegen fordern sie des Muttermörders Bestrafung, denn Orest beging, indem er die Mutter tötete, das schwerste Verbrechen, das unter der alten Gentilordnung begangen werden konnte. Apollo hingegen steht auf dem entgegengesetzten Standpunkt, er hat im Auftrag des Zeus Orest zum Mord an der eigenen Mutter zur Rächung des Vatermordes veranlaßt, und er verteidigt vor den Richtern dessen Handlung, indem er sagt:
Darauf sag' ich also, mein gerechtes Wort vernimm:
Nicht ist die Mutter ihres Kindes Zeugerin ,
Sie hegt und trägt das auferweckte Leben nur;
Es zeugt der Vater, aber sie bewahrt das Pfand
Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt.
Mit sicherem Zeugnis will ich das bestätigen.
Denn Vater kann man ohne Mutter sein; Beweis
Ist dort die eigne Tochter (Athene) des Olympiers Zeus,
Die nimmer eines Mutterschoßes Dunkel barg,
Und edlern Sproß gebar doch keine Göttin.
Nach Apoll gibt also
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