Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Neil?
Jane, Profi durch und durch, ignorierte die Frage. »Da vorne
ist auch schon das Mittelgebirge – siehst du? Und an seinen südlichen Ausläufern
werden wir den Vogel runterbringen – exakt, präzise und genau in der Mitte vom
Tsiolkovsky-Krater.«
»Ach so. Dann brauchst du ja gar nicht manuell die Steuerung
zu übernehmen.«
»Ganz recht. Und das habe ich auch nicht vor, wenn alles wie
geplant läuft. So gut zahlt die Nasa auch wieder nicht, dass ich mir den Stress
antue und das Ding hier manuell fliege; das war schon in den Simulationen
kompliziert genug. Abgesehen davon würde unser Treibstoff nicht mehr reichen,
um diesem Krater mit seinen hundertachtundachtzig Kilometern Durchmesser
auszuweichen.«
»Wo kommt denn auf einmal der ganze Staub her?«, wollte
Nicole wissen und wischte einen Schweißtropfen von ihrer Stirn.
»Vom Mond, nehme ich an«, sagte Jane. »Oder siehst du hier sonst
noch etwas, wovon er stammen könnte?«
»Hm …?«
»So, jetzt sind wir gleich unten.«
»Wird auch Zeit, ich langweile mich schon.«
In einer Höhe von einem Meter siebzig ging das blaue
›Kontaktlicht‹ an; das Zeichen für Jane, das Triebwerk abzustellen. Mit einer
lässigen Geste ihres rechten kleinen Fingers schnippte sie den Schalter in die
›Aus‹-Stellung. Das Rütteln des Triebwerks verebbte und die Landefähre fiel den
letzen Meter im gemächlichen freien Fall der Mondschwerkraft zu Boden.
»Scheisse«, sagte Jane laut, ihre Stimme bebte vor Ärger. Es
war damit das erste Wort eines Mitglieds der Apollo 18 Crew, das auf der
Mondoberfläche gesprochen wurde. »Jetzt ist mir der verdammte Nagel
abgebrochen. Das fängt ja gut an. So ein Mist.«
Nachdem die Crew ein ausgiebiges Mahl – so ausgiebig es auf
dem Mond eben sein konnte – bestehend aus Spaghetti aus der Tube, Sugo aus der
Tube und Wasser aus dem bordeigenen Rinnsal zu sich genommen hatte, wurde es
Zeit für den Ausstieg. Ein historischer Moment an einem historischen Tag. Die
erste Frau würde ihren in den klobigen Moonboots nicht ganz so zierlichen
Fußabdruck auf der erdfernen Seite des Mondes hinterlassen. Hätte die Welt von
dieser Mission gewusst, wären alle Augen auf die Satelliten gerichtet gewesen,
die die Signale von der Rückseite des Mondes zur Erde sandten. Aber es war eine
ausgemachte Sache, dass man über das Stattfinden dieser Mission Stillschweigen
bewahren würde. Vorläufig zumindest, doch nicht einmal die Experten der Nasa
konnten sagen, wie lange ›vorläufig‹ nun tatsächlich dauern würde.
»Hilfst du mir mal kurz, Gayle«, stöhnte Jane, die mit ihrem
linken Bein irgendwo in ihrem mit dem Anzug verschweißten Stiefel stecken
geblieben war. »Warum haben die nicht so Haken dazugegeben, wie bei den
Reiterstiefeln, damit man sie besser anziehen kann?«
»Vielleicht, damit wir nicht noch mehr Masse hier hoch schleppen
müssen«, warf Nicole ein.
»Vielleicht auch, damit wir nicht ein Loch in den Anzug stechen,
aus Versehen selbstverständlich«, sagte Gayle.
»Das kommt davon, weil du so eitel bist«, raunzte Nicole. »Du
musstest deine Stiefel ja unbedingt in Größe sechsunddreißig bestellen. Dabei
verursachen dir deine Stilettos nach einer halben Stunde Shopping auf der Fifth
Avenue schon Schmerzen, weil sie dir zu klein sind.«
»Du bist mir wirklich eine große Hilfe«, motzte Jane. »Das
kann ich jetzt auch nicht mehr ändern.«
Mit vereinten Kräften gelang es ihnen schließlich, die Füße
ihrer Kommandantin in die viel zu engen Stiefel zu zwängen. Nicht genug, dachte
Jane, dass ihr die Designer ihre geliebten vier Zoll Absätze auf ein zwei Zoll
Plateau zusammengekürzt hatten, hatte sie nun auch noch mit der Tatsache zu
kämpfen, dass sie in flachen Schuhen nicht laufen konnte. Doch bald kam ein neues
Problem hinzu.
»Waren deine Oberschenkel schon immer so … dick?« Gayle
machte ein überraschtes Gesicht.
»Die sind nicht dick«, schmollte sie, »die sind muskulös!«
Jane, die immer so stolz auf ihre trainierten Oberschenkel gewesen war, kämpfte
nun damit, sie in dem engen Anzug unterzubringen. Sie fand auch sofort eine
Strategie, wie dies in möglichst kurzer Zeit zu schaffen war. Gayle hielt
Nicole fest, Nicole hielt Jane fest, Jane hielt ihren Atem an und zog mit all
ihrer Kraft am Bein des Mondoveralls, bis er schließlich wie eine zweite Haut ihren
Oberschenkel umschloss.
»Tsiolkovsky, Houston!« Es war der Lautsprecher. Immer dann,
wenn man ihn gewiss nicht brauchen konnte.
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