Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
wusste, ob er in die Wälder ziehen sollte, oder war es Columbus
gewesen, als er darüber sinnierte, wie er am besten die Ureinwohner dahinmetzeln
konnte? Vielleicht war es auch Goethe gewesen, als er … Na egal. Ich wollte
über Karen schreiben, über eine starke Frau, eine Ikone, eine Kultfigur für
zukünftige Generationen; nicht über Karen, die karrieresüchtige sensible Astronautin,
der Karriere über alles ging – ja, ganz recht –, dass sie einen totalen
Zusammenbruch erlitt, als sie erfuhr, dass sie nicht als die erste Marsfrau in
die Geschichte einging, die ans Bett gefesselt werden musste, um nicht ihre
eigene Crew zu verletzen, die … aber zusätzliche Einzelheiten erspare ich Ihnen
wohl besser. Ich begann eine Lebensgeschichte von Karen zu schreiben – von ›meiner‹
Karen, so wie ich sie sah und wie ich auch wollte, dass sie von den anderen
gesehen und in Erinnerung behalten werden sollte. An diesem Tag hatte ich
Kopfschmerzen, ich erinnere mich genau. Es war ein Gefühl, als sei eine Tür in
meinem Hinterkopf zugeschlagen worden. Unwillkürlich musste ich an John
McDonnel denken.
Die Biografie wurde ein Bestseller; übersetzt in achtzig
Sprachen, kann sein auch zweiundachtzig oder fünfundachtzig. Sollten Sie sie
jemals in die Hände kriegen, fragen Sie bitte nicht, woher die Bilder stammen,
die Karen bei der Roverexkursion zeigen; neben dem Rover, auf dem Rover, mit
hochgeklappten Visier, mit einem siegessichern Lächeln an den Hängen des ›Olympus
Mons‹ …
Ein Freund von mir kann Ihnen einen Film über einen Planeten
machen, den es gar nicht gibt, mit Menschen, die nie geboren wurden und anschließend
hätten Sie trotzdem das Gefühl, dort gewesen zu sein und jeden einzelnen von
ihnen persönlich gekannt zu haben. Alles rein technisch, Sie verstehen.
Ich schrieb die Biografie unter einem Pseudonym, weil ich
nicht wollte, dass mein guter Name als Journalist in diesem Zusammenhang
aufscheint und nannte sie ›Noctis Labyrinthus – Im Labyrinth der Nacht‹, was
mir in mehr als einer Hinsicht zutreffend schien. (Ursprünglich hatte ich ja
vor, sie ›Die Frau von Tsiolkovsky‹ zu nennen, da Karen ihre Rolle als
Projektmanagerin der Tsiolkovsky-Farside-Base zum Verhängnis wurde, doch bald
ließ ich den Gedanken fallen.)
Ich habe dazugelernt. Heute
weiß ich, was mir John McDonnel damals auf dem Hinflug schon zu sagen versuchte,
ohne es konkret ausgesprochen zu haben. Was er damit meinte, als er sagte:
Fakten anders darzustellen, sie anzupassen, sie zu verändern. Und zwar soweit,
dass sie auf eine möglichst große Anzahl möglichst geneigter Ohren treffen. Und
wann wäre ein Ohr wohl geneigter als dann, wenn man ihm genau die Worte
zuflüstert, die es hören möchte.
Ich habe es nie bereut, hier auf dem Mars geblieben zu sein.
Es war interessant und spannend für mich, dabei gewesen zu sein, als die neuen
Siedlungen und Städte entstanden sind und darüber zu berichten. Ganz zu
schweigen von dem Abenteuer, drei Kinder großzuziehen. Und hier auf dem Mars
werden sie wirklich groß, das können Sie mir glauben. Heute wohne ich noch in
der gleichen Suite wie damals, mit dem Unterschied, dass es heute größere und
luxuriösere Unterkünfte in der Stadt gibt und die einstmalige Suite zu einer
Standardunterkunft verkommen ist. Aber das interessiert Sie vermutlich gar
nicht so sehr. Also will ich auf den Punkt kommen.
Die Worte, die der Abgesandte von der Erde vor vierzig
Jahren bei seinem Besuch hier gesprochen hatte, waren keinesfalls leer gewesen.
Ich muss zugeben, ich hatte ursprünglich diesen Verdacht, doch der hat sich
sehr zu meiner Überraschung nicht bestätigt. Es war nur eines einer
unüberschaubaren Zahl von Vorurteilen – in diesem Fall gegenüber haarpomadigen
Lackaffen –, die ich lange gehütet habe, als wären sie mein kostbarster Besitz,
mein größter Schatz, von dem ich mich nicht trennen wollte. Nach der Rückkehr des
Abgesandten wurden tatsächlich sukzessive alle Datenbanken und Bücher
umgestellt. Fünf Jahre später existierte keine einzige Aufzeichnung mehr auf
dem Planeten, in der Jacqueline Lambert als die erste Frau auf dem Mars genannt
wurde; und das können Sie ruhig glauben, recherchieren – lachen Sie nicht –
kann ich mittlerweile. Jacqueline hatte komplett gefasst reagiert, nach außen
hin, zumindest haben es so die Medien berichtet, als sie erfuhr, dass die
Angelegenheit um die erste Frau auf dem Mars endlich richtig gestellt worden
war. Sie soll
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