DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
seiner Starre. „Hallo, Hallo, Genossen. Kehren Sie ruhig an Ihren Platz zurück.“ Auch Elena nähert sich dem Mikrofon und spricht zu ihren Kindern, die zu ihren Füßen herumwimmeln: „Bleibt ruhig“, sagt sie im Ton einer Oberlehrerin. Doch nun hagelt es die ersten Beleidigungen.
Die Kinder haben beschlossen, ihren „Vater“ zu töten und die „Mutter“ gleich dazu. Die Bilder werden vom Fernsehen direkt ausgestrahlt – gegen den ausdrücklichen Befehl Ceauşescus. Als kluger Propagandist hat er seine Reden stets mit ein paar Minuten Verzögerung ausstrahlen lassen, um die Sendung notfalls unterbrechen zu können, sollte es je zu Ereignissen wie diesen kommen. Doch das Fernsehen ist schon nicht mehr in seiner Hand, und die Bilder gehen unzensiert in die Welt hinaus. Ganz Rumänien weiß jetzt, dass Ceauşescu seinem Volk nichts mehr zu diktieren hat.
In seinem Büro beruft er eine Krisensitzung ein. Er sucht nach einem Mittel, der Menge Herr zu werden. Militär, Geheimpolizei und engste Mitarbeiter versammeln sich ein letztes Mal im Palast. Nicolae versucht sogar, seine Haus- und Hofdichter einzuberufen, die gewöhnlich die Lobreden auf den Helden des Vaterlands und seine Frau verfassen. Doch die haben sich längst abgesetzt. Als die Nacht hereinbricht, sehen seine Kinder und Brüder ihn zum letzten Mal. Sie versuchen gemeinsam einen Plan für einen Gegenangriff auszuarbeiten.
Im Morgengrauen erhält der Generalstab der Securitate von General Julian Vlad den Befehl, nicht auf die Protestierenden zu schießen. Als er am Morgen des 22. Dezember erwacht, hat Ceauşescu jede Macht verloren. Er ruft den Ausnahmezustand aus, hat aber nicht mehr die Zeit, das nötige Dokument zu unterzeichnen. In der Stadt haben sich die Arbeiter den Demonstrierenden angeschlossen. Ganz Rumänien hat die Arbeit niedergelegt.
Um 9 Uhr 30 erfährt Ceauşescu, dass sein Verteidigungsminister, der treue Vasile Milea, „Selbstmord“ begangen hat. In einem letzten Versuch zur Verteidigung der Macht empfängt Ceauşescu die Militärattachés seiner Verbündeten, der Sowjetunion und Chinas. Doch die Lehnsherren wollen ihren Vasallen nicht mehr schützen. Die Sowjetunion und China lassen ihn fallen. Wieder versammelt sich die Menge an dem Ort, wo man den Diktator erzittern gesehen hat. Etwa hunderttausend Menschen stehen vor dem Sitz des Zentralkomitees.
Um 12 Uhr besteigen Nicolae und seine Frau einen Hubschrauber. Er setzt sie dreißig Kilometer weiter, in Târgoviste, ab. Dort werden sie von aufständischen Soldaten verhaftet. Die „Flucht nach Varennes“ ist kurz ausgefallen. Hätten die beiden mit einem vollgetankten Hubschrauber fliehen und in einem befreundeten Staat Unterschlupf finden können? Aber in welchem? Die Sowjets haben dem Paar bei dem Gespräch am Vormittag die Hilfe verweigert. Die Volksrepubliken rundherum sind in Auflösung begriffen. Die Verbündeten sind rar geworden. Vielleicht wollten sie ja die unterirdischen Kanäle zur Flucht nutzen, die Ceauşescu hatte anlegen lassen?
Um 14 Uhr 30 erscheint Ion Iliescu auf den Fernsehschirmen der Welt und stellt sich als Befreier Rumäniens vor. Er verkündet das Ende der repressiven Maßnahmen, die Ceauşescu noch nicht einmal hatte organisieren können. Zwei Tage später verkündet der neue starke Mann, Iliescu, dass ein außerordentliches Militärgericht einberufen worden sei, um über Elena und Nicolae zu urteilen.
Hand in Hand stehen sie in diesem Saal, in dem man gegen sie eine Anklage vorbringt, die sie nicht verstehen. Nicule begreift nicht, wie man sie derart respektlos behandeln kann. Wie kann man mit der Mutter aller Rumänen, mit der großen Ideologin und Wissenschaftlerin nur so umspringen? Der Ersten Dame des Staates, der Ballkönigin, für die er sich 1939 entschieden hat? „Sie verdienen dich nicht“, hatte sie ihm immer wieder zugeflüstert, wenn er sich seinen Kritikern hatte stellen müssen. Niemand verdient ihn – außer ihr.
Das Todesurteil fällt, der Richtplatz wartet. Der Staatsanwalt meint sarkastisch, sie wären wohl besser im Iran geblieben. Auf diese Gemeinheit gibt es nur eine Antwort: Nicolae und Elena lachen verächtlich. „Wir gehen nicht ins Ausland. Schließlich sind wir hier zu Hause!“, ruft sie, bevor sie von der Bühne abtritt. Für immer.
[1]
Nach offizieller Lesart. Radu Portocala gibt allerdings an, der Prozess hätte in aller Heimlichkeit drei Tage früher, also schon am 22. Dezember 1989, stattgefunden. Radu
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