DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
ausging.
Elena hingegen litt unter einer manifesten Paranoia. Ihr Leibarzt ist seit den Siebzigerjahren Doktor Schekter. Dieser vertraut eines Tages bei Verlassen des Palastes seine Sorgen dem Gesundheitsminister an. Er fürchtet um die geistige Gesundheit der Genossin. „Man bräuchte ein psychiatrisches Gutachten“, meint er. Am Tag darauf findet man den guten Doktor Schekter tot. Der Selbstmörder hat sich aus dem Fenster seines Büros im Bukarester Krankenhaus gestürzt.
Elena hingegen bricht zu jener Zeit unter all ihren Ehrungen beinahe zusammen. Sie ist Ehefrau, Mutter, Ingenieurin, Heldin und Heilige. Wie niemand sonst ist sie zum Neuen Menschen geworden, den jede totalitäre Doktrin fordert. Doch sie findet keine Ruhe mehr. Ihre Ängste fressen sie auf. Und sie projiziert sie auf ihre unmittelbare Umgebung, die sie immer wieder „säubert“. In Wirklichkeit aber lauert im Herbst 1989 längst eine ganz andere Gefahr auf die beiden, eine Gefahr, die Elena nicht wahrnimmt.
Das kommunistische Regime in Rumänien ist mittlerweile das einzige hinter dem Eisernen Vorhang, in dem es nicht gärt. Die Perestroika in der Sowjetunion, die Solidarnosc in Polen haben die monolithische Einheit des Ostblocks aufgeweicht. Rund um Ceauşescu fallen die Regime, öffnen sich die Grenzen. Die DDR erlebt gerade ihre letzten Tage.
Seit dem 9. Dezember 1989 kommt es in Timişoara an der ungarischen Grenze immer wieder zu Demonstrationen. Das Regime reagiert mit harten Gegenmaßnahmen. Doch die Ereignisse bleiben, durch Vermittlung der ehemals kommunistischen Länder, vom Ausland nicht unbemerkt. Jugoslawische, ungarische und deutsche Presseagenturen erhalten Bilder von Demonstranten, die blutend auf dem Boden liegen. Von dort aus gehen diese in alle Welt. Empörung brandet auf. Man spricht von mehreren Tausend Toten. Das „Genie der Karpaten“ nimmt die Situation ernst. Es hält eine Rede, in der es ausländische Provokateure für den Aufstand in Timişoara verantwortlich macht. Andererseits erscheint es ihm wohl klüger, das Land zu verlassen, denn es reist zunächst nach Teheran, wo es angeblich wichtige Wirtschaftsvereinbarungen mit der Islamischen Republik Iran zu unterzeichnen hat.
Als Ceauşescu am 21. Dezember zurückkehrt, hat sich die Lage keineswegs beruhigt. Vielmehr hat sich der Protest auch auf die Hauptstadt ausgeweitet. Alle Versuche der Polizei, die Menschenmassen zu zerstreuen, werden als Provokation gewertet. Das Volk hat gespürt, dass der Diktator zögert, und will seine Chance nutzen. Am selben Tag wollen die Ceauşescus auf der großen Tribüne des Zentralkomitees eine Rede halten, um die Gemüter zu beruhigen. Man schickt andere Redner vor, um die Menge zu überzeugen. Doch es finden sich immer noch mehr Demonstranten auf dem großen Platz mitten in Bukarest ein.
Um 12 Uhr 30 ergreift Ceauşescu das Wort. Doch schon bei den ersten Worten kocht der Volkszorn hoch. Die Demonstranten brüllen ihre Parolen, um ihn zu übertönen. Zum ersten Mal wird eine Rede des „Conducătors“ nicht mit Andacht aufgenommen. Da Ceauşescu Unterbrechungen nicht gewöhnt ist, bleibt er offenen Mundes stehen und betrachtet fassungslos das unerwartete Schauspiel. Ungläubig starrt er die Welt an. Man sieht förmlich, dass er nicht begreift, was da vor sich geht. Seine Frau hingegen wirkt abwesend. Ganz im Gegensatz zu sonstigen Gelegenheiten, wo sie Nicolae bei fast jedem Wort applaudiert und ihn fast übertönt, wirkt sie unruhig und zurückgenommen.
Als die Menge ihren Mann niederschreit, ist es mit Elenas Gelassenheit vorbei. Nun herrscht auch auf der Tribüne Kopflosigkeit. Man hört es auf dem Platz knallen. Agitatoren, die wissen, wie man Angst und Verwirrung verbreitet, haben Knallkörper gezündet. Die Rumänen, die die Aufnahmen aus Timişoara noch im Hinterkopf haben, wo es ähnlich knallte, ehe Tote den Platz übersäten, reagieren panisch. Ceauşescu steht immer noch am Mikrofon, doch er weiß nicht, was er tun soll. Einer seiner Ratgeber flüstert ihm zu: „Vine Secu.“ Die Securitate steht bereit, soll das heißen. Doch Ceauşescu zeigt keinerlei Reaktion. Elena greift ein, obwohl die Angst ihr den Hals zuschnürt. Nicule dreht sich zu ihr um. „Vine Secu“, sagt sie. Doch Nicu hat bereits begriffen, dass dies nichts nützen wird. Er schneidet ihr das Wort ab: „Aber nein, he.“ Die Menge ist mittlerweile vollkommen außer Kontrolle. Etwas fliegt auf die Tribüne. Das reißt Ceauşescu aus
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